Wäre er dort geboren worden, wo er hingehört, in der freien Wildbahn, hätte er einfach das Licht der Welt erblickt und nicht eine Überwachungskamera. So aber ist er der Stolz des Schönbrunner Tiergartens, nachdem er seine ersten Atemzüge in einem "Wurfbox" genannten Kobel machte; eifrig behütet von seiner Mama, der Pandabärin "Yang Yang", zu Deutsch "Sonnenschein", ein Name, der in Gefangenschaft pragmatische Notwendigkeit hat.

Was die Überwachungskamera nicht feststellen konnte, und so lange, bis man sich der Mutter nähern darf, auch ungeklärt bleiben wird: Ist das Neugeborene ein "Er" oder eine "Sie". Feministisch Bewegte mögen nachsehen, dass hier im Weiteren von "ihm" die Sprache ist; zum Beispiel bei der Überlegung, was aus dem Kerlchen werden könnte, wäre ihm seine natürliche Umgebung gegönnt.

Dieses Gebiet ist rund eineinhalbmal so groß wie das Burgenland und umfasst eine gebirgige Gegend auf den Territorien der chinesischen Provinzen Sichuan, Gansu und Shanxi. Rund 1600 Wildtiere der Art "Großer Panda" leben dort, werden bis zu 160 Kilogramm schwer und bewegen sich auch so - eher nicht hektisch. Im Gegensatz zu anderen Bären kann sich der Panda nicht auf den Hinterbeinen aufrichten, zur Nahrungsaufnahme bevorzugt er die Picknick-Stellung: am Boden sitzend, damit er die Vorderpfoten zum Greifen frei hat.

Bekannterweise greift er hauptsächlich zu Bambusschößlingen, aber zwischendurch zerbeißt er auch Krokus, Schwertlilie - und Enzian. Nur wegen des Enzians den neuen Schönbrunn-Bewohner in die Alpen zu bringen (woran natürlich niemand denkt), wäre ihm wenigstens von der Höhe her passend. In ihrer natürlichen Heimat leben die Pandas im Sommer in Höhen bis zu 4000 Meter, im Herbst steigen sie auf rund 800 Höhenmeter ab.

Warum die Natur dem Panda das putzige Gesicht gegeben hat, ist noch nicht erforscht. Allerdings gilt als möglich, dass nicht-menschliche Lebewesen die schwarzen Flecken um seine Augen gar nicht putzig, sondern gefährlich finden, dass also der melancholisch wirkende Blick tierische Feinde verscheucht.

Der Kleine in Schönbrunn hat diese Sorgen nicht, er bleibt in Obhut der Tierexperten, die sich noch ums Überleben des vorerst durch Nicht-bekannt-Sein seines Geschlechts namenlosen Sprösslings sorgen. Da aber die Mama (der) "Sonnenschein" heißt und der Papa "Long Hui", (das) "Drachenzeichen", wäre das Geschlecht des Namens egal und man könnte dem neuen Austro-Panda einen zum Alpinen passenden Namen aus seinem Speisenplan geben: "Long Danshu". Das ist, wie eine Chinesin in Peking für uns ausfindig machte, der Begriff für "Enzian" - wörtlich übersetzt: "Drachengalle". (Klaus-Peter Schmidt, DER STANDARD - Printausgabe, 24. August 2007)