Schuld an allem ist die Tante Hermi selig – darüber sind sich alle in unserer Familie einig, was selten genug der Fall ist. Nicht, dass es die Tante Hermi gestört hätte. Sie war nach Großmutters Tod als Opas "neue" Lebensgefährtin daran gewöhnt, dass sie in den Augen der Familie immer das Nachsehen hatte. Aber dass wir sie für die unpatriotische Gier der Ostösterreicher nach ungarischer Schönheitspflege verantwortlich machen, das hätte sie doch überrascht.

Jeden Monat "auf Bük"

Die Tante Hermi, gebürtige Hornsteinerin, war diesbezüglich jedenfalls eine Trendsetterin. Schon vor dem Fall des Eisernen Vorhangs überschritt sie regelmäßig in Schönheits-Angelegenheiten die Ostgrenze. Sie fuhr monatlich "auf Bük", in das uns bis dato völlig unbekannte Thermalbad hinter Szombathely, sie ließ sich in Sopron die Zähne, in Györ die Frisur und in Mosonmagyaróvár "die Füße richten" – und unser Opa musste immer mit. "So billig", schwärmten die zwei, wenn sie frisch mani-, pedikürt und onduliert aus ihrem klapprigen grünen Datsun ausstiegen. Wir fanden Tante Hermis Spar- und Hamstermentalität, gelinde gesagt, unnobel – und wir weigerten uns entschieden, sie "auf Bük" oder "auf Moson" zu begleiten, die in unserer Vorstellung nie anders als grau und rückständig waren. Zur Renovierung nach Ungarn fuhr nur die "Generation Tante Hermi", wir nicht.

Umso befremdlicher, als sich eine Freundin, noch keine 40, kürzlich über einen "Gutschein für einen Tag Schönheitspflege in Ungarn" freute, den sie von ihrer Familie bekommen hatte. Die Freundin ließ sich nach allen Regeln der Kosmetikkunst verwöhnen: Von der Haarwurzelmassage über die Gesamtbein-Harzung bis hin zum "permanent makeup". Der Tag in Mosonmagyaróvár spielte alle Stückeln – und das noch dazu billig, billig, billig. Nicht einmal 200 Euro mussten die Verwandten berappen, um meine Freundin in neuem Glanz erstrahlen zu lassen. Ein Lokalaugenschein war somit unvermeidlich geworden.

Schokoseite

Tatsächlich präsentiert sich das 30.000-Einwohner-Städtchen Mosonmagyaróvár an einem spätsommerlichen Besuchstag von seiner Schokoladenseite. Die Fußgängerzone in der Innenstadt ist schmuck herausgeputzt, Straßencafés säumen die Ufer der Leitha, auf den Straßen zwischen Dentalkliniken, Kozmetik-házs, Frisiersalons und Billigst-Boutiquen drängeln sich – eigentlich nur Österreicher. Eine junge Dame, Gucci-Brille im Haar und Calvin-Klein-Jeans auf der Hüfte, spricht eindringlich auf ihr Handy ein: "Du musst dich nicht beeilen mit der Maske, wir gehen jetzt eh noch zur Karin, die lässt sich gerade die Augen machen." Während die Jungen geschäftig weitereilen, vertilgen ein paar Ältere selbstvergessen "Schweine-Fillet mit Letscho, Kartofel um 1350 Forint = 6 Euro!"

Ein Selbstversuch im "Szalon Erika" beweist: Hier ist nicht nur das Essen billig. Eineinhalb Stunden lang Gesichtsreinigung, zwei Pflegemasken, Augenbrauen modellieren kann man hier für 21 Euro haben, "Gigi’s Oxagen-Ampullen" gegen Falten kosten 30 Euro – in Wien legte man dafür, je nach Salon-Lage, 50 bis 150 Euro drauf.

Bei Irene

Des Rätsels Lösung findet man im "Salon Irene", bei Fußpflegerin Barbora (8 Euro ohne, 9 Euro 50 mit Nagellack): Barbora und ihre Kolleginnen sind im Salon nur "eingemietet". Sie arbeiten als selbstständige Dienstleisterinnen, die in guten Monaten bis zu 100.000 Forint (rund 500 Euro) bekommen, von denen sie rund ein Viertel gleich wieder für die Miete ausgeben. Und dann noch: Versicherung, Steuer, Essen – "alles sehr teuer", beklagt sich Barbora. Ihre Kundschaft besteht "zu 90 Prozent" aus Österreichern.

Ganz Mosonmagyaróvár hat sich auf die Nachbarn eingestellt, jeder spricht zumindest ein paar Brocken Deutsch, der Taschenrechner zur Euro-Umrechnung ist stets bei der Hand – und fast alle sind irgendwie mit dem Dienst an der Schönheit beschäftigt. Die Arbeitslosigkeit beträgt im westlichsten ungarischen Komitat 4,2 Prozent (in Gesamt-Ungarn sind es rund sieben Prozent).

"Bei uns ist das Geschäft seit Jahren tot", klagt dagegen die Nickelsdorfer Kosmetikerin Eleonore Hertel – obwohl sie selbst sich nicht beschweren könne. Hertel bietet ihre Dienste mobil an, sie erklärt sich selbst für "gut gebucht" – aber ein eigener Salon würde sich finanziell nicht ausgehen. Ähnlich sieht es in Zurndorf und allen anderen umliegenden burgenländischen Dörfern aus.

Dass die kleinen Kosmetikläden ob der übermächtigen ungarischen Konkurrenz mittlerweile zugesperrt haben, beunruhigt die burgenländische Wirtschaftskammer überraschenderweise wenig: "Ganz im Gegenteil, wir haben einen Boom", sagt Kammer-Sprecher Harald Schermann, "es gibt heute mehr Betriebe als vor zehn Jahren." Bei Kosmetikern, Fußpflegern und Masseuren waren 1998 nur 90 Betriebe im Burgenland angemeldet, 2006 waren es 337. Ähnlich verhält es sich bei den Friseuren. Dass es sich dabei meist um Ein-Frau-Unternehmen handelt, stört Schermann keineswegs: "Die können fast alle gut leben, weil sie sich spezialisiert haben." Das bedeutet nicht nur, dass die burgenländischen Schönheitsexpertinnen alte, immobile Kunden zu Hause betreuen. Viele Kosmetikerinnen haben sich bewusst auf männliche Kunden spezialisiert – und das ist wiederum auf den positiven Einfluss ihrer ungarischen Kolleginnen zurückzuführen. Schermann: "Viele Männer haben sich in Mosonmagyaróvár oder in Sopron zum ersten Mal die Füße pflegen lassen. Früher galt das als unmännlich, heute trauen sie sich das auch daheim – und sie werden am Stammtisch längst nicht mehr ausgelacht." Wer sagt’s denn: Schuld an allem ist die Tante Hermi selig. Die hat den Opa auch immer mitgeschleppt. (Petra Stuiber/Album/Printausgabe, 25./26. August 2007)