Für die Europäische Zentralbank sind die Flitterwochen vorbei. Weil die europäischen Zinssätze nicht länger im eindeutigen Widerspruch zu den grundlegenden Wirtschaftsdaten der Eurozone stehen, ist die Geldpolitik komplexer geworden. Zugleich hat Frankreich seinem neuen Präsidenten Nicolas Sarkozy - fraglos dem Respekt einflößendsten Widersacher, mit dem es die EZB in ihrer kurzen Geschichte zu tun hatte - ein klares Mandat erteilt. Sarkozy wartet nur darauf, sich auf die Bank zu stürzen, falls diese im gegenwärtigen, strategisch schwierigeren Umfeld einen Fehler macht.

Angesichts der seit Ende 2005 um 200 Basispunkte gestiegenen Zinsen und des starken Euro will Sarkozy, dass die EZB sofort mit Zinserhöhungen Schluss macht. EZB-Präsident Jean-Claude Trichet und der EZB-Rat sind ganz anderer Ansicht. Trichet signalisiert, dass es mindestens eine weitere Erhöhung geben würde - entweder im September oder im Oktober.

Was die Geldpolitik derzeit so kompliziert macht, ist, dass die deutsche Wirtschaft, die während des gegenwärtigen Aufschwungs Europas Wachstumslokomotive war, möglicherweise nun einen Wendepunkt erreicht hat. Die Erhebungen zum Vertrauen der Unternehmen und Anleger haben sich abgeschwächt. Das deutsche BIP ist nach einem überraschend starken ersten Quartal eingebrochen. Die Wirtschaft der Eurozone - auch die Deutschlands - ist nicht kugelfest, auch wenn die Falken im EZB-Rat häufig so reden, als wäre sie es. So wie vor einem Jahr in Europa ein ungerechtfertigter Wachstumspessimismus herrschte, herrscht in diesem Jahr eine ungerechtfertigte Wachstumseuphorie. Insbesondere viele Deutsche verweigern sich der Erkenntnis, dass der gegenwärtige zyklische Aufschwung möglicherweise seinem Ende entgegengeht.

Sollte der EZB-Rat den Wendepunkt bei der wirtschaftlichen Entwicklung in Europa verpassen und die Zinsen munter weiter erhöhen, würde man ihn als eine Horde betrunkener Matrosen im Zinsrausch darstellen. Der Ruf nach einer stärkeren politischen Kontrolle über die Europäische Zentralbank wäre ohrenbetäubend - nicht nur in Frankreich. Der politische Preis eines derartigen Fehlers wäre für die EZB exorbitant.

Die Falken leiden wiederum an einer Art "Aufholkomplex". Egal wie hoch die Zinsen steigen: Sie glauben, sie wären im Rückstand. Sie wollen eine Zinserhöhung im September, um sich die Möglichkeit einer weiteren im Dezember offen zu halten (sogar bevor ihnen die Daten bekannt sind) - und werden es dabei nicht belassen. Selbst die Tauben könnten eine Erhöhung im September unterstützen, um dem Vorwurf entgegenzuwirken, sie hätten sich von Sarkozy nötigen lassen, auf ebendiese zu ver- zichten. Es besteht kein Zweifel, dass sich Sarkozys Angriffe auf die EZB in dieser Hinsicht kontraproduktiv auswirken.

Eine September-Erhöhung wird außerdem Sarkozys Interessen dienen, denn sie bietet ihm zusätzliche Munition, die EZB als außer Kontrolle geratene Institution darzustellen. Um sich vor derartigen Vorwürfen zu schützen, wäre es für die EZB besser, bis Oktober zu warten, um sich dann an die Öffentlichkeit zu wenden und de facto zu sagen: "Nun seht, wie gemäßigt wir uns verhalten haben. Aber jetzt müssen wir die Zinsen erhöhen."

Die Schlacht zwischen den beiden französischen Titanen - Trichet und Sarkozy - hat begonnen, und das Schicksal der Europäischen Zentralbank hängt in der Schwebe. (DER STANDARD Printausgabe 25.08.2007)