Wien – Zuletzt, kurz vor der Operation, nach der er nicht mehr erwachen würde, soll Viktor Frankl seiner Frau Elly mit einem Buch für alles gedankt haben, "was du in deinem Leben für mich getan hast". Sie hatte ihm dafür Gebetsriemen ins Spital gebracht.
Noch seinem Tod vor zehn Jahren, am 2. Juni 1997, wollte Frankl den versöhnlichen Sinn verleihen, den er als Psychotherapeut im Umgang mit Mitmenschen gesucht hatte – obwohl oder vielmehr gerade weil er schon als Kind daran gezweifelt haben soll, ob es angesichts des Todes überhaupt einen Sinn geben kann.
Der Begründer der Logotherapie – die er als dritten Weg zwischen der konfliktorientierten Psychoanalyse und krankheitsorientierten Methoden sah – hielt schon als sozialistischer Mittelschüler Vorträge über den Sinn des Lebens. 1905 in Wien geboren, spezialisierte er sich als Mediziner und angehender Psychiater auf Suizidprävention. Mit den im Krankenhaus Am Steinhof angewandten, erfolgreichen Methoden arbeitete Frankl nach dem Anschluss auch noch im jüdischen Rothschild-Spital. Er blieb dort, obwohl er hätte emigrieren können, weil er seine Eltern nicht verlassen wollte.
Danach gerieten seine Verwandten, seine Frau und er in die Vernichtungsmaschinerie. Wie lange er selber litt, darüber wird debattiert. Den Angaben des amerikanischen Historikers Timoty Pytell zufolge dauerte sein Verbleib in Auschwitz nicht viele Monate, sondern drei Tage. Dabei solle es nicht um die Relativierung von Leiden, sondern um Wahrhaftigkeit gehen. (Das Buch von Pytell zum Thema fehlt bis heute im Wiener Frankl-Zentrum.)
Jedenfalls zog Viktor Frankl aus dem erlebten Grauen für sich und für alle Hilfesuchenden die Lehre, dass man den Sinn von allem nicht mit Vernunft begreifen kann, sondern Glauben benötigt. Die Erforschung dieser Dynamik und ihrer therapeutischen Möglichkeiten machte Frankl zum weithin gesuchten und anerkannten Forscher und Lehrer – allein in den USA erhielt er fünf Professuren.
Sinnhaftigkeit suchte Frankl wohl auch im Paradoxen: Bis ins hohe Alter war er ein begeisterter Bergsteiger – obwohl er Höhenangst hatte. (Michael Freund, DER STANDARD/Printausgabe, 01./02.09.2007)