Kennen wir den denn nicht? Ja, waren wir nicht schon einmal hier? Das haben wir doch alles bereits irgendwann einmal erlebt?! – Die meisten Menschen haben Déjà-vu-Erfahrungen, sagen die Psychologen. Historiker dagegen wollen mit Erinnerungstäuschungen weniger zu tun haben, sie suchen allenfalls nach Analogien. Aber die sind manchmal so frappierend, dass sich fast so etwas wie ein Déjà-vu-Erlebnis einstellen will.

Wie zum Beispiel bei einem unlängst von Michael Gehler beim Forum Alpbach rasant vorgetragenen Referat. Der 2006 von Innsbruck nach Hildesheim gerufene Historiker verglich die Zwischenkriegszeit mit der jüngsten historischen Entwicklung, insbesondere im Nahen Osten: „Wie ab 1919 sind auch ab 1989 viele neue Konflikte in der Welt aufgebrochen. Es hat eine Renationalisierung gegeben und eine Re-Islamisierung.“ 1934 hätten sich Deutschland und Russland wieder als Großmächte auf der Weltbühne zurückgemeldet, mit den bekannten Konsequenzen. Heute sei nur Deutschland endgültig gezähmt. Was aus dem wiedererstarkten Russland Wladimir Putins werde, müsse sich schlechterdings erst zeigen, erklärte der Historiker.

Für Michael Gehler ähneln einander auch die Rollen des Völkerbundes damals und jene der UNO heute. Der UN-Sicherheitsrat erstarre in den Blockaden der Vetomächte. Ein Glaubwürdigkeitsverlust der Vereinten Nationen sei die Folge. Wegen des Konfliktes um Palästina empfinde insbesondere die arabische Welt die UNO als eine rein westliche Organisation. Auf einen Unterschied indes wies ein Zuhörer im Publikum hin: Habe es 1919 und 1945 noch eine vertraglich geregelte Nachkriegsordnung (mit Ausnahme eines Friedensvertrages für Westdeutschland) gegeben, sei eine Friedenskonzeption nach 1989 ausgeblieben.

Interessant ist dazu auch, was der Wiener Philosoph und ehemalige Rektor der Universität für angewandte Kunst, Rudolf Burger, noch vor seiner Punzierung als Wolfgang Schüssels „Wendephilosoph“ in diesem Zusammenhang über die Implosion des Kommunismus geschrieben hat: Für Burger sind „vektorielle Geschichtsphilosophien“, also politische Lehren, die ein Heil im Diesseits versprechen, mit dem Scheitern des Kommunismus ideologisch an ihr Ende gelangt. In der historischen Gegenbewegung dazu habe sich die Politik sukzessive retheologisiert. Es gebe nicht nur eine neue Religiosität in den Gesellschaften, sondern auch eine politische Radikalisierung der Religionen.

Andere Zeiten, gleiche Zeiten? Es sieht fast so aus. Statt eines Weltkrieges (und danach eines weltweiten Kalten Krieges) gegen totalitäre Ideologien wird ein globalisierter Kampf gegen den djihadistischen Terrorismus muslimischer Eiferer gefochten. Das „Zeitalter der Extreme“ (Eric Hobsbawn) läuft gewissermaßen unter veränderten Vorzeichen weiter. Die Rollen fanatischer Faschisten oder Kommunisten brauchen nur mit ebenso fanatischen Islamisten besetzt zu werden.

Dennoch, etwas ist in unseren Tagen anders. Es gibt eine historische Erfahrung der völligen Katastrophe, die aus solchen globalisierten Konflikten entstehen kann. Die Menschen, und nicht nur jene in Europa, wissen, was es bedeutet, wenn ein ganzer Kontinent in Schutt und Asche liegt. Insofern relativieren sich die Kassandra-Rufe über den drohenden Untergang.

Eine berechtigte Frage ist auch, ob die religiösen Fanatiker jene breite Verankerung in der Bevölkerung etwa des arabischen Raumes haben wie einst Kommunisten und Faschisten. Das Aufkommen an interreligiösen und interkulturellen Gesprächszirkeln und Großveranstaltungen lässt zumindest vermuten, dass dem nicht so ist.

Noch einmal: Andere Zeiten, gleiche Zeiten? Nach den „Epochenjahren“ 1919, 1939 und 1989 ist nicht auszuschließen, dass die Menschen doch noch aus der Geschichte lernen können – ohne dass sich Tragödien historischen Ausmaßes ereignen müssen. (DER STANDARD, Printausgabe, 1.9.2007)