Die Reflexe funktionieren: Wann immer die Debatte über Neutralität aufflammt, wird sie abgewürgt. Dabei ist sie im Lichte dessen, was um Österreich passiert, längst fällig. In Österreich muss die Frage diskutiert werden, ob die "immerwährende Neutralität" nicht längst eine Farce ist.

Das neutrale Österreich war in Zeiten des Kalten Krieges aufgrund seiner geostrategischen Lage tatsächlich ein Bollwerk zwischen der Nato und dem Warschauer Pakt. Was 1955 und bis 1989 für Österreich und Europa richtig war und zu einem Mythos geworden ist, hat durch den Fall der Berliner Mauer eine Transformation erlebt.

Mit der "immerwährenden Neutralität" ist Österreich eine Selbstverpflichtung eingegangen, keinen Bündnissen beizutreten und im Falle eines Krieges keiner Partei militärische Vorteile - Stützpunkte, Lieferung oder Durchfuhr von Kriegsmaterial - zu gewähren. Österreich beteiligt sich jedoch seit 1960 an UN-Blauhelmeinsätzen, hat aber auch Militäraktionen, die mit einem UN-Mandat versehen waren, nicht behindert und teilweise - über Aufforderung - sogar unterstützt. Während des Golfkriegs 1991 wurde die Durchfuhr von Kriegsmaterial von der österreichischen Regierung genehmigt. Österreich nimmt seit 1995 auch an der Nato-Partnerschaft für den Frieden teil.

Das sind Fakten, die weit gehend ignoriert werden. Ebenso die Tatsache, dass Österreich mit dem EU-Beitritt 1995 auch im Bereich Außen- und Sicherheitspolitik Vereinbarungen eingegangen ist. Die EU-Staaten sind bereits dabei, 13 so genannte Battlegroups zu je 1500 Mann aufzubauen. Auch Österreich hat sich verpflichtet, daran mitzuwirken und eine solche Einheit gemeinsam mit Deutschland und Tschechien zu bilden. Diese Truppe kann auch ohne UN-Mandat in Kampfeinsätze geschickt werden. Das ist eine Realität, die man in Österreich immer noch nicht wahrhaben will. Neutralität ist insbesondere in der SPÖ für viele ein Synonym für Souveränität, die es in dieser Art nicht mehr gibt.

Österreich nimmt an friedensschaffenden und -erhaltenden Operationen wie der EU-Truppe in Bosnien-Herzegowina, wo Österreich mit mehr als 200 Soldaten vertreten ist, längst teil. Frieden kann in manchen Fällen nur mit Gewalt erhalten und erzwungen werden, das wissen selbst Blauhelmsoldaten nur allzu gut. Niemand kann im Ernst behaupten, dass die in der Nato geltende Beistandspflicht nicht auch in der EU zur Anwendung käme. Im Falle eines Angriffs auf einen EU-Staat würde sich Österreich nicht heraushalten können.

Ein 2002 unterzeichnetes Abkommen ermöglicht der EU bei militärischen Einsätzen die Nutzung von Planungs- und logistischen Kapazitäten der Nato. Damit sollen Doppelgleisigkeiten und Überschneidungen vermieden werden. Das macht Sinn. Die EU sollte sogar die Luftraumüberwachung gemeinsam regeln. Dann könnte Österreich seine Eurofighter in dieses System einbringen. Im Zuge der Eurofighterdebatte wurde nicht wirklich diskutiert, wie es ein Flugzeug schaffen sollte, nach Österreich durchzudringen, das von Nato-Staaten umgeben ist. Aber die Erörterung dieser Frage hätte ein Infragestellen der Neutralität erzwungen.

Es wäre ehrlicher, zu sagen, für die Binnenwirkung brauchen wir die Neutralität, nach außen gilt, was wir an völkerrechtlich bindenden Verträgen eingegangen sind. So aber vermittelt Österreich lieber den Eindruck, noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen zu sein: Wir richten es uns lieber in der Vergangenheit gemütlich ein und halten uns alle Optionen offen: Wir sind neutral, aber auch nicht gegen die Nato-Beitrittsoption. Nur nicht zu viel festlegen.

Spätestens wenn EU-Battlegroups mit österreichischen Soldaten im Einsatz sind, muss klar sein: Die "immer währende Neutralität" im Sinne von Heraushalten und Nirgends-dabei-Sein lässt sich nicht mehr aufrechterhalten. "Immerwährend" bleiben höchstens Mozartkugel und Lipizzaner, denn der Mythos des Schilling verblasst schon. (Alexandra Föderl-Schmid/DER STANDARD, Printausgabe, 1.9.2007)