Huainigg: „Schulreform muss bei der Lehrerausbildung ansetzen.“

Foto: Standard/Fischer
Unter besonderer Berücksichtigung von „Brehms Tierleben“ und dem Zeitbudget der „Auspuff-Lehrer“.

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In den vergangenen Wochen gab es zahlreiche mehr oder weniger wertvolle Vorschläge zu einer Reform der Schulorganisation. Sträflich vernachlässigt wurde dabei allerdings das größte Kapital des Bildungswesens, die Lehrer/innen und deren Ausbildung. Denn von einem Phänomen wissen alle Eltern zu berichten: Egal ob ihr Kind in eine Hauptschule, ein Gymnasium oder gar in eine neue Mittelschule geht – ein bloßer Lehrerwechsel kann bewirken, dass die Lernerfolge, beispielsweise in Mathematik oder Englisch, sich plötzlich von einem „Nicht genügend“ in ein „Sehr gut“ verwandeln.

Die Regel aus Brehms Tierleben, „Wie’s Herrl, so’s Gscherl“, scheint auch Gültigkeit im Schulwesen zu haben. Besucht man als Kinderbuchautor eine Klasse mit einem unmotivierten Lehrer, geben sich auch die Schüler/innen desinteressiert und gelangweilt. Eine offene, engagierte Pädagogin hingegen unterrichtet angeregte Schüler, deren Hände wissensdurstig in die Höhe schnellen.

Arbeitszeit überdenken

Für Lehrer/innen, die sich ins Auto werfen, kaum dass die Schulglocken verhallt sind, und für zwei Monate Richtung Süden düsen – Willkommen zurück! –, prägte der Leiter der Schulreformkommission, Bernd Schilcher, den kontroversiellen Begriff der „Auspuff-Lehrer“. Um Missverständnissen vorzubeugen: Der Lehrerberuf ist ein enorm fordernder und beanspruchender Beruf. Er verlangt sehr viel Flexibilität, Fachwissen und Kompetenz. Die Erholungsphase sei den Pädagogen wirklich gegönnt. Aber keine andere Berufsgruppe hat über elf Wochen Urlaub pro Jahr, schulautonome Tage nicht mitgerechnet. Wäre es da nicht viel sinnvoller, die Belastungen im Schulalltag abzubauen, anstelle auf die lange Urlaubszeit als „Wiedergutmachung“ hinzuweisen? Man könnte sogar die Klassenschülerhöchstzahlen – ohne finanziellen Mehraufwand – noch viel deutlicher reduzieren, wenn die Arbeitszeit der Lehrer/innen an jene anderer Berufsgruppen angepasst werden würde.

Hätte das dann nicht auch zur Folge, dass Burnout-Syndrome, die Überforderung und der ständige Stress mit vollen Klassen massiv reduziert werden könnte? Studien zeigen ebenfalls, dass vor allem Kindern aus bildungsfernen Schichten die überaus lange Sommerpause zum Nachteil gereicht, weil sie extrem viel vergessen. Über all das sollte zumindest diskutiert werden. Denn völlig unverständlich ist, wenn die Versuche der ehemaligen Bildungsministerin, Nachprüfungen in die letzte Ferienwoche vorzuverlegen, kläglich am Lehrerprotest scheiterten.

Dass Lehrer, wie in skandinavischen Ländern üblich, die Schüler zu Hause besuchen, ihnen dort Nachhilfe geben oder mit der Familie schulische Probleme klären, ist in Österreich derzeit wohl undenkbar. Dies wäre aber zunehmend wichtig, da die familiären Strukturen immer weniger als Bildungsbackground funktionieren. Gerade Eltern mit Migrationshintergrund können ihre Kinder aufgrund sprachlicher Barrieren weniger unterstützen, was sich oftmals in einem schlechten Schulzeugnis niederschlägt.

Integration fördern

Eine richtungsweisende Schulreform muss vor allem bei der Lehrerausbildung beginnen. Es kann nicht sein, dass beispielsweise nach über zehn Jahren der schulischen Integration im Regelschulwesen Lehrer sich weigern, behinderte Kinder zu unterrichten mit dem Argument, sie hätten es in ihrer Berufsausbildung nicht gelernt. Die neuen Pädagogischen Hochschulen sollten Integrationspädagogik für alle werdenden Lehrer als Pflichtfächer anbieten. Die von Maria Montessori vor hundert Jahren geprägte Unterrichtsmethodik wird nicht zufällig heute noch als „Neue Pädagogik“ bezeichnet.

Zur Erinnerung: Die Integration von behinderten Kindern brachte den Frontalunterricht in Integrationsklassen zu Fall. Neue Lehrmethoden wie offener Unterricht, projektorientiertes Arbeiten und anschauliche Lehrmaterialien mussten erstellt werden. Für die Lehrer/innen bedeutete dies, die Herausforderung im Team zu arbeiten. Die Klassenzimmer verwandelten sich zu einladenden Lernstätten mit Couch, Teppich und vielen Büchern. Dieser individualisierte Unterricht fördert jedes Kind – sowohl das behinderte als auch das hochbegabte – entsprechend seinen Fähigkeiten. Und ganz nebenbei passieren soziales Lernen und die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen wie Teamfähigkeit, die Neugier auf neues Wissen und selbstständiges Erarbeiten von Aufgaben.

Diese Erfahrungen sollten für die „Schule neu“ genutzt werden. Gesamtschule hin oder her, die Probleme des heutigen Schulsystems werden nur lösbar sein, wenn wir auch die Frage der Lehreraus- und -weiterbildung ernsthaft angehen. Eine neue Verordnung des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst gibt jedoch wenig Anlass für die Hoffnung auf große Veränderungen. Als Beispiel sei hier die „körperliche Eignung“ als Aufnahmekriterium für Studenten der Pädagogischen Hochschulen genannt. 2005 wurden im Rahmen eines Bündelgesetzes zum Behindertengleichstellungsgesetz aus allen Berufszugangsbestimmungen die Begriffe der „körperlichen Eignung“ als diskriminierend eliminiert. Die neue Verordnung der Bildungsministerin scheint in alte Zeiten zurückzuführen, in denen der Lehrerberuf behinderten Menschen versagt wird.

Wenn endlich auch behinderte Lehrer/innen in der Klasse stehen, wird dies ein Zeichen für „Normalität“ und für eine wirklich „andere“ = zukunftsweisende Schule sein. (Franz-Joseph Huainigg, DER STANDARD, Printausgabe, 3.9.2007)