Monika SalzerDie neue evangelische "Bescheidenheit" im Angesicht der Ökumene (Ulrich Körtner, in der Furche) sieht sich einer römisch-katholischen Kirche gegenüber, deren höchste Repräsentanten ab und an nachgerade sektiererische Gedanken äußern. Denn was ist das Merkmal von Sekten? Sie sind Gemeinschaften, die andere nicht als gleichwertig sehen. Das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, mischt sich mit der Überzeugung, dass sich alle anderen tunlichst anzugleichen hätten. Die Distanz zur "ungläubigen Welt" wird immer größer, da diese vor lauter Angst nicht mehr in der lebendigen Vielfalt einer ausdifferenzierten Gesellschaft wahrgenommen wird. Die Erde soll eine Scheibe sein, nicht eine Kugel.

Die Hilflosigkeit angesichts einer pluralen Welt wird mit einfachen Lösungen therapiert, die sich bereits im Kampf gegen die Glaubenslosigkeit des Abendlandes historisch "bewährt" haben: hin zu Maria! Tatsächlich gibt es aus der Geschichte der Gegenreformation lebendig gebliebene Erinnerungen an die Madonna, die über die Ketzer (Protestanten), die Türken und die Pest siegte. Der kaiserliche Hof und die Jesuiten machten das "evangelische Wien" im 17. und 18. Jahrhundert mit Gewalt wieder katholisch, unter anderem mit einer Heiligenverehrung, die im Marienkult gipfelte. Nicht nur Wien wurde zu einer Stadt der "marianischen Gnadenorte". Ein Netzwerk von Marien-Kultstätten überzog bald ganz Österreich, Marianische Wallfahrten waren an der Tagesordnung.

"Magna Mater Austriae" wurde als Schutzherrin Österreichs beschworen: Maria war die Siegerin der Schlacht am Weißen Berg, sie siegte über die Protestanten, die Türken, alle Erzfeinde des Hauses Österreich. Der Katholik Friedrich Heer machte erst in den 1980er-Jahren als erster Historiker darauf aufmerksam, wie sehr die Gegenreformation Österreich eine gespaltene Seele hinterließ, die bis heute nicht verheilt ist.

Die "Pietas Austriaca", ausgelebt in der österreichischen Marienfrömmigkeit, wurde augenfällig in Wiens Stadtbild demonstriert: "Unsere Liebe Frau von den Schotten" war eine der ältesten "Gnadenstatuen", die die Stadt der Legende nach vor den evangelischen Schweden rettete. Auch "Maria mit dem Beil" am Hochaltar der Franziskanerkirche ließ "Ketzer" und Türken verzweifeln, besiegte die Pest und das Feuer. Der "Türkenmadonna" Maria Pötsch im Stephansdom wurde der Sieg Prinz Eugens am 11. September 1697 über die Türken zugeschrieben. Der auffallende Fleck im Gesicht soll von einem "frechen Ketzer" stammen, der es wagte, ihr Antlitz zu betasten. - Und die Gnadenmutter von Mariazell? Dieses Wallfahrtsziel verdankt sich einer Initiative des heftigsten Bekämpfers der Evangelischen in Wien, Melchior Khlesl, Propst von St. Stephan, Bischof und Kardinal, im Rahmen seines Rekatholisierungsprogramms.

Die Probleme der Welt sind nicht allein mit Mystik zu lösen und schon gar nicht mit einer, die die Last einer Vertreibungsgeschichte trägt. Mit Recht wird auch aus den eigenen katholischen Reihen kritisiert, dass sich der Papst nicht dem interkonfessionellen Gespräch, sondern fast ausschließlich Mariazell widmet. (Monika Salzer, DER STANDARD - Printausgabe, 7. September 2007)