Wallfahrten sind für mich etwas Sinnvolles. Ich war des Öfteren in Lourdes, Fatima, Lisieux oder anderen großen Wallfahrtsorten. Ich gehe aber auch gern mit Gruppen betend oder in Stille zu einem besonderen Ort in der Umgebung. Ich denke auch, dass Menschen ein besonderes Erlebnis haben können, wenn sie zu einem "großen" Gottesdienst zusammenkommen, wenn etwas gefeiert wird, das sie tief beeindruckt.

Nach Mariazell fahre ich heuer aber nicht. Angesichts der drängenden Reformaufgaben in der Kirche, die von der Kirchenleitung - so scheint es - nicht einmal ignoriert werden und über die nicht einmal diskutiert werden soll, gerät die Fahrt nach Mariazell zum Spektakel und zum Ablenkungsmanöver.

Erneuerung und Vertiefung einer Glaubensgemeinschaft geschieht zuallererst tatsächlich aus dem Gebet und der Besinnung auf Wurzeln und Quellen. Besonders wir Katholiken haben die Bibel kennenzulernen und müssen aus mancher Veräußerlichung wieder zurückfinden zur "Gottesfrage".

Erneuerung und Vertiefung geschieht aber auch durch konkrete Reform, nach redlicher Auseinandersetzung und Diskussion in den Gemeinschaften - in alter kirchlicher Überzeugung, dass darin der Heilige Geist wirkt. Solange jahrzehntelang um die Seelsorge und den Glauben bemühte Pfarrer keine Möglichkeit haben, dem Papst ihre Sorgen vorzutragen, die der Mangel an geistlichen Seelsorgern und der drohende Zusammenbruch der Pfarren auslöst, solange ist mir dieses Feiern suspekt. Solange ich von der Diözese nicht unterstützt werde in meinem Bemühen, mich von unreflektierten Erwartungen und dem Druck, überall dabei zu sein, zu befreien, fahre ich mit meinen Leuten nicht zum Papst. Solange die Erhaltung der gegebenen Strukturen wichtiger ist als die "Kernfeier" der christlichen Gemeinde, die Eucharistie, fahre ich nicht nach Mariazell. Wichtiger als einmal einen spektakulären Gottesdienst zu feiern, wäre, dafür zu sorgen, dass alle Pfarren jeden Sonntag die Messe feiern können. Die Eucharistie ist die Grundlage und der Kern jeder Pfarrgemeinschaft.

Ich würde gerne eine große Kerze anzünden in Mariazell für die Pfarren, die in ihren geistlichen Bedürfnissen sträflich ausgehungert werden - wenn ich dort wäre ... (Gilbert Schandera, DER STANDARD - Printausgabe, 7. September 2007)