Armut, Scham und Stigmatisierung machen viele Betroffene krank.

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Schulden, Scheidung, Schwangerschaft, schlecht-bezahlte Teilzeitjobs oder ein ungenügendes soziales Sicherheitsnetz: Kommen einige Faktoren zusammen, schnappt die Armutsfalle zu. Sandra W.* kann davon berichten. Der gewalttätige Ex-Freund ließ sie mit einem Berg an Schulden zurück. "Dank meiner Eltern konnte die Delogierung noch verhindert werden, obwohl die auch nur eine kleine Pension haben", erzählt die Alleinerziehende zweier Kinder.

"Häufig ist für Frauen nach der Trennung weniger Gewinn da. Zum Beispiel verschulden sich Männer und überlassen bei der Trennung die Schulden der arbeitenden Frau. Diese Konstellation kann ich immer wieder beobachten", so Martin Litschauer von der Caritas-Sozialberatung. Bei rund fünf Prozent der Bevölkerung tritt manifeste Armut auf, mehr Frauen als Männer sind betroffen. "Es geht nicht nur darum, dass sich einkommensschwache Haushalte etliche Konsumgüter nicht leisten können, sie sind vielfach mit dem Problem der Überschuldung konfrontiert", bestätigt die Armutsforscherin Karin Heitzmann, die am Institut für Sozialpolitik der Wirtschaftsuniversität Wien tätig ist.

Den Schein wahren

In reichen Ländern tritt Armut meist versteckt auf. So wie Sandra W. können viele betroffene Frauen ihre Situation gut tarnen. Das Stigma der Armut soll ihnen und vor allem ihren Kindern erspart bleiben. "Grundsätzlich muss Armut versteckt sein, da wir gerade am Land weniger Kontakte haben, als wir müssten. Viele Menschen, die de facto arm sind, suchen oder finden den Kontakt mit der Caritas nicht. Denn wir sind schon so überlaufen, dass der Zugang schwierig ist", berichtet Litschauer. Caritas-Kollegin Martina Kargl kennt die Situation: "Armut ist heute sicher weniger sichtbar. Das hat mit der Verbreitung von Textildiskontern zu tun, die erlauben, trotz geringem Einkommens gepflegt aufzutreten. Armutsstudien zeigen außerdem, dass viel Energie darauf verwendet wird, den Schein zu wahren."

Frauenarmut versteckt sich auch in der Statistik

Die Caritas-Expertin geht von einer hohen Dunkelziffer aus: "Frauenarmut versteckt sich auch in der Statistik. Das hat damit zu tun, dass die Haupt-Quelle für Armutsdaten, das EU-SILC (Community Statistics on Income an Living Conditions) nicht Personeneinkommen, sondern Haushaltseinkommen untersucht. Nur sagt der bloße Blick auf das Einkommen sehr wenig darüber aus, in welcher Lebenssituation Menschen sich befinden, da sie unterschiedliche Fix-Ausgaben zu begleichen haben." Die EU-SILC Zahlen gäben auch keinen Aufschluss darüber, ob das verfügbare Einkommen innerhalb des Haushalts gerecht verteilt wird.

"Das geht gut, solange es einen Partner gibt"

Aus der Lebenssituation vieler Frauen ergeben sich meist weitere Nachteile, wie Kargl anführt: "Frauen haben Erwerbsunterbrechungen wegen der Kinderpause und sammeln deshalb geringere Ansprüche auf Versicherungsleistungen als Männer. Das alles geht unter Umständen gut, solange es einen Partner gibt, ökonomisch abhängig sind sie auf jeden Fall." Unmittelbar gesehen bräuchte es ein besseres System der Mindestabsicherung, als es die aktuelle Sozialhilfe bieten kann. "Denn der Sozialstaat in seiner jetzigen Form ist löchrig. Frauen verlieren im Fall einer Scheidung oft die sozialen Rechte, die sich von der Erwerbsarbeit ihres Mannes ableiten", meint Kargl.

Einen Unterhaltsvorschuss gibt es nur für Kinder und der funktioniere nur eingeschränkt, berichtet die Expertin: "Wenn Frauen aufgrund des Umstandes, dass sie wegen fehlender Alimente unter die Sozialhilfegrenze fallen, gezwungen sind Sozialhilfe zu beantragen, müssen sie ihren Ex-Partner erst klagen - der Unterhaltsanspruch hat Vorrang. Viele Frauen, vor allem jene aus Gewaltbeziehungen, wollen das aber nicht."

Ausmaß der versteckten Wohnungslosigkeit schwierig abzuschätzen

Aus Angst vor Obdachlosigkeit und dem völligen gesellschaftlichen Abstieg erdulden einige Frauen Zweckgemeinschaften. Dafür müssen sie mit Hausarbeit und sexueller Gefügigkeit bezahlen. "Diese Frauen sind oft physischer, psychischer und sexueller Gewalt ausgeliefert. Da es sich um verdeckte Wohnungslosigkeit handelt, ist es schwierig, das Ausmaß abzuschätzen", macht Kargl aufmerksam.

"Kinderbetreuungszeiten teilweise nicht ausreichend"

Arbeit schützt nicht mehr vor Armut. Bereits 75 Prozent aller atypischen Jobs werden von Frauen ausgeübt. "Alleinerzieherinnen sind stark gefährdet, da sie weniger Handlungsspielraum haben. Zum einen gibt es starke geschlechterspezifische Unterschiede im Einkommen, zum anderen sind die Kinderbetreuungszeiten teilweise nicht ausreichend", so Litschauer. "Circa zwei Drittel unserer Klientel ist weiblich und davon wiederum ein Drittel Alleinerzieherinnen, die in prekären Arbeitsverhältnissen sind oder Teilzeit arbeiten. Dazu kommen Einsamkeit und die Last alles alleine machen zu müssen", berichtet Litschauer.

"Armut macht krank, Krankheit macht arm"

Die Energie, die in die Bewältigung des Alltags und das Verheimlichen der Situation investiert wird, ist enorm. Das bleibt nicht ohne Folgen, wie Kargl weiß: "Armut macht krank, Krankheit macht arm, geringe Bildung führt zu Jobs mit hohem Gesundheitsrisiko. Wir sehen jedenfalls bei unseren KlientInnen - über alle Bereiche hinweg, in denen wir tätig sind - eine Zunahme an psychischen Auffälligkeiten."

"Der große Wurf wäre ein Mentalitätswandel"

Neben der finanziellen, muss auch eine sozialarbeiterische und psychologische Unterstützung gewährleistet werden, wie Kargl anführt: "Die Mutter-Kind-Häuser in allen Caritas-Diözesen berichten, dass sie mit ihren Angeboten den Bedarf bei weitem nicht abdecken können."

"Der große Wurf wäre ein Mentalitätswandel in Öffentlichkeit und Politik, was die Vereinbarkeit von Beruf und Familie angeht, die ja im Großen und Ganzen nach wie vor Frauensache ist." Um die Rollenbilder vom Mann als dem Familienernährer und der Frau als Zuverdienerin aufzubrechen, fordert Kargl daher: "Bezahlte und unbezahlte Arbeit sollte sich gerechter auf Frauen und Männer verteilen."(Julia Schilly/derStandard.at, 7. September 2007)