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Um seinem Bildungsauftrag über die Ressortgrenzen hinaus nachzukommen, hat ein Wirtschaftsredakteur des Standard Mittwoch einen Ausflug in die Gefilde österreichischer Nazilyrik und deutscher Klassik unternommen. Es galt, angesichts der tristen Performance der Meinl-EL-Aktie wenigstens den Meinl-Mohren literarisch zu unterfüttern. Der Bildungsbürger, so sprach er eine in der Meinl-Filiale am Graben vermutete Bevölkerungsschicht an, wusste noch von Shakespeares "Othello", in dem es heißt: "Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen."

Ohne dass es am Graben deswegen zu größeren Protestdemonstrationen gekommen wäre, vielleicht aber auch, um solchen vorzubeugen, ergänzte der Standard diese Mitteilung am Donnerstag um ein Erratum. Korrekterweise hätte der Satz natürlich lauten müssen: Der Halbbildungsbürger wusste noch . . (vgl. "Die Verschwörung des Fiesko zu Genua" von Friedrich Schiller, Reclams Universal-Bibliothek, Nr. 51). Leserservice wird nämlich in dieser Zeitung groß geschrieben.

Und das erlaubt, die Reduktion des Bildungsbürgers auf ein Viertel seiner selbst voranzutreiben, nicht zuletzt auch im Sinne der sich bildenden Anti-Meinl-Mohren-Initiative, gegen die sich die Meinl-Initiative der Finanzmarktaufsicht noch als harmlos erweisen könnte. Mit dem Verweis auf Reclams Universal-Bibliothek, Nr. 51 ist der Verdacht der bürgerlichen Viertelbildung hinlänglich bewiesen, weil der Band von Reclams Universal-Bibliothek, in dem ein Mohr namens "Othello" ganze Arbeit leistet, wenn auch unter Hintanstellung seiner Schuldigkeit, die Nr. 21 trägt, während in Nr. 51 - wie richtiggestellt wurde - ein ganz anderer Mohr etwas getan hat, was in der Verschwörung des Fiesko zu Genua - nicht zu verwechseln mit dem Fiasko des Mohren in Wien -, klar gemacht, im Blatt aber wieder unklar belassen wurde.

Was der Mohr aus Nr. 51 getan hat, ist im Bildungsbürgertum bis heute umstritten, und Schuld daran ist der Autor selbst. Hätte er auf der Suche nach einem flotten Mohren-Zitat das Nächstliegende getan und in Büchmanns "Geflügelten Worten" nachgeschlagen, hätte er dort gefunden, was der Bildungsbürger zitiert: Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan; der Mohr kann gehen. Allerdings mit dem Zusatz: obwohl dort nicht Schuldigkeit, sondern "Arbeit" steht. Was musste sich F. Schiller auch einbilden, gescheiter als der Bildungsbürger sein zu wollen! Doch er schrieb nun einmal "Arbeit", alles andere ist ein Erratum.

Den Bildungsbürger in der "Kronen Zeitung" beschäftigen ausnahmsweise einmal nicht arbeitsscheue Mohren, er erweist seinen über Nacht demokratiesüchtig gewordenen Lesern seine Schuldigkeit, und das nicht zu knapp. Österreicherinnen und Österreicher, die keinen Mucks von sich gaben, als die Koalition mit der Verlängerung der Legislaturperiode ihr Wahlrecht beschnitt, dürfen sich auf der Leserbriefseite scharenweise spontan für die direkte Demokratie ereifern, wenn es gegen die EU geht. Kurz, der Alte will den Regierenden wieder einmal zeigen, wo der Bartel den Most holt.

Die Koalition hat Angst vor dem Volk, war der Aufmacher vom Mittwoch, nachdem erst wenige Tage zuvor an derselben Stelle die Engländer als leuchtende Vorbilder gerühmt wurden: Briten rebellieren gegen EU-Diktat. Glaubt man den Freunden der direkten Demokratie, die wie die Schwammerln aus den Leserbriefseiten des Blattes schießen, dann fegt ein Orkan der Entrüstung durch das Land, der Verlust an Demokratie steht unmittelbar bevor. Für den einen ist der EU-Vertrag ein Kolonialstatut für Europa, für den anderen wird die EU offenbar weitgehend als Selbstbedienungsladen gesehen. Da greift jeder zu, dem sich die Möglichkeit dazu bietet. Der wird doch nicht einen Kolumnisten der "Krone" meinen.

Kein EU-Diktat hinnehmen! fordert ein wackerer Kärntner. Wir müssen über die neue Verfassung abstimmen können, ansonsten ist sie für das Volk nicht bindend. Wenn es aber nicht mehr anders geht, dann müssen wir diesen Verein verlassen, wird da gut europäisch gedacht.

Und nur eine Lichtgestalt kann Österreich vor dem Untergang in der Europäischen Union bewahren. Die ganze Hoffnung, alles noch zu einem guten Ende zu bringen, liegen bei unserer "Kronen Zeitung", ahnt einer dumpf, und ein anderer - Name und Adresse der Redaktion bekannt - formuliert sein Dichand, erlöse uns! so: Die "Krone" steht hoffentlich hinter dem Volk. Bei nur zehn Prozent der mehr als 3 Mio. täglichen "Krone"-Leser, die ihre Unterschrift bei einer Volksabstimmung abgeben, muss das Diktaturwerk im Nationalrat behandelt werden. Ich wünsche somit dem österreichischen Volk und der "Krone" viel Glück.

Vor allem natürlich der "Krone", die sich Mittwoch schon selber fragte: Führt die "Krone" den Umschwung herbei? Und zwar mittels Dichands Demokratie-Patent: Weil die Politiker in Österreich Angst vor dem Volk haben, wird die "Krone" die Meinung der Bevölkerung per Umfrage testen. Kein Grund, vor dem Blatt Angst zu haben. Aber das dürfen die Fans der "Krone" -Demokratie nie erfahren. (Günter Traxler/DER STANDARD; Printausgabe, 8./9.9.2007)