Die im Juli vom Papst verfügte Freigabe des tridentinischen Messritus sorgt in der christlichen Gemeinschaft nach wie vor für Diskussion: Reformkatholiken und Protestanten werten die Entscheidung als Schritt in Richtung "Aufweichung der Errungenschaften des II. Vatikanischen Konzils". Dass dieser Meinungsgleichklang nicht gottgegeben ist, zeigt das Beispiel der Philosophieprofessorin und Dozentin an der Theologischen Akademie Gießen, Edith Düsing* (Köln): Sie gehörte im Vorfeld der Freigabe zu den Unterzeichnern eines "Manifestes zur Wiederzulassung der überlieferten lateinischen Messe". Was sie dazu bewog und warum sie im alten Ritus ein Vorbild auch für evangelische Gottesdienste sieht, erklärt sie in einem Kommentar für die evangelische Nachrichtenagentur "idea", den wir im Wortlaut dokumentieren:
1. Die alte lateinische Messe zeichnet sich durch ihre hohe ästhetische Qualität aus und gehört zum europäischen Weltkulturerbe, das ebenso wenig wie die Musik von Monteverdi auf den Schutthaufen vergangener Geschichte geworfen werden darf. Traditionsbewahrung ist heute wichtiger denn je, da wir Gefahr laufen, im Konsumrausch das Beste zu vergessen: die Ehrfurcht vor Gott und die Achtung vor dem unendlichen Wert jedes einzelnen Menschen.
2. Als evangelische Philosophin begrüße ich als Pendant zur Zulassung der lateinischen Messe evangelische hochkirchliche Bestrebungen, die eine Aufwertung der liturgischen Form gegen die überhandnehmenden "Häresien der Formlosigkeit" vornehmen. Schon Goethe hat laut "Dichtung und Wahrheit" (7. Buch) im evangelischen Gottesdienst die mangelnde sakramentale Konsequenz und Fülle vermisst.
Gegen Trivialisierung
Liturgie zum Experimentierfeld zu machen, trivialisiert ihre symbolischen Inhalte und widerstreitet der Würde des christlichen Gottesdienstes, der einer festen gewachsenen Form bedarf, die nicht von Akteuren nach Belieben manipuliert werden kann. Die biblische und reformatorische Substanzlosigkeit vieler evangelischer Predigten mit ihren peinlichen Pseudo-Aktualisierungen fällt umso schmerzlicher ins Gewicht, wenn auch die Liturgie entleert ist.
3. Für mich ist wahre Kirche dort, wo ein sakraler Raum durch in ihm dargebrachte Symbole, getätigte Worte, geistlich inspirierende Musik in seiner ganzen Atmosphäre in der Seele des Eintretenden Ehrfurcht zu erwecken vermag, wie sie beispielhaft in Tersteegens Lied hervorleuchtet: "Gott ist gegenwärtig, lasset uns anbeten …".
4. Freundschaft und Sympathie mit christusgläubigen Katholiken bekunde ich mit meiner Unterschrift für die nun wiederzugelassene lateinische Messe. Pietätvolle Bewahrung heißt nicht restaurative Fixierung auf ein archaisches überholtes Erbe, sondern Treue zum kostbarsten Anvertrauten und Pochen auf erlaubte Vielfalt gegen eine erzwungene Uniformierung. Eben dies fehlt der evangelischen Kirche immer wieder, die wie in vorlaufendem Gehorsam zum Zeitgeist von Anpassung zu Hörigkeit, von Hörigkeit zu pseudoliberaler Intoleranz gegen ihre eigenen Treuen im Lande voranschreitet. Eine sich selbst aufhebende Liberalität, in der alles erlaubt ist, aber niemand mehr ein "Dominus dixit" sagen darf, führt die Kirche in den Abgrund gesellschaftlicher und weltgeschichtlicher Unglaubwürdigkeit, den sie sich selbst bereitet hat. (DER STANDARD Printausgabe, 8./9.9.2007)