Höhepunkt des dreitägigen Papstbesuchs war gestern, Samstag, die 850-Jahr-Feier von Mariazell. Wie am ersten Besuchstag war das Wetter wieder sehr schlecht. Während der gesamten Papstmesse vor der Basilika regnete es. Trotzdem kamen mehr als 32.000 Pilger in den obersteirischen Wallfahrtsort. Bei einem Gebet mit Priestern und Ordensleuten in der Wallfahrtskirche hatte der Papst vom Klerus einen "demütig-kirchlichen Gehorsam" eingefordert.
Überschattet wurde die Großveranstaltung von zwei Todesfällen: Ein Pilger starb an einem Herzinfarkt, ein anderer an einem Kreislaufversagen. Am Nachmittag stand noch eine Vesper mit Priestern und Ordensleuten in der Wallfahrtskirche auf dem Programm.
Rückkehr in die Apostolische Nuntiatur
Um 20.09 Uhr ist Papst Benedikt XVI. am Samstag wieder in der Apostolischen Nuntiatur in Wien eingetroffen. Die Rückfahrt von Mariazell sei ohne Probleme verlaufen, sagte der Sprecher des Innenministeriums, Oberst Rudolf Gollia. Der nicht gerade kleine Konvoi nahm wie schon bei der Hinfahrt die Südroute über Mürzsteg, den Semmering, die Südautobahn (A2) und die Südosttangente (A23) zurück nach Wien.
"Komplikationslos" nannte Gollia des Tagesverlauf aus polizeilicher Sicht. Herausforderungen habe es vor allem für die Verkehrskräfte gegeben. Sie mussten einerseits den Konvoi sicher und richtig bis nach Mariazell lotsen und dazu die entsprechenden Maßnahmen setzen, andererseits auf der engen Strecke bis zum Wallfahrtsort die Zufahrt trotz dichter Buskolonnen garantieren.
Benedikt verlor kein Wort zu Priestermangel
Papst Benedikt XVI. hat bei der Vesper mit Priestern und Ordensleuten in der Basilika von Mariazell kein einziges Wort zur Zölibatsproblematik, zum akuten Priestermangel oder zur Überalterung des Klerus in Österreich verloren. Vielmehr forderte er von ihnen einen "demütige-kirchlichen Gehorsam" ein.
In seiner Predigt stellte er Betrachtungen zu Armut, Keuschheit und Gehorsam als "prägende Elemente für ein Leben in der radikalen Nachfolge Christi" an. "Wer Christus nachfolgen will, muss entschieden auf Habe verzichten", so der Papst.
Zum Thema Keuschheit merkte er an, "Priester und Ordensleute leben nicht beziehungslos ... und geloben durch das Gelübde der ehelosen Keuschheit nicht Individualismus und Beziehungslosigkeit, sondern wir geloben, ... uns ganz und vorbehaltlos in den Dienst der Menschen zu stellen". Dies sei "ein großer Beitrag", betonte Benedikt: "Inmitten aller Gier, allem Egoismus des Nicht-Warten-Könnens, des Konsumhungers, inmitten des Kultes der Individualität versuchen wir, eine uneigennützige Liebe zu den Menschen zu leben."
Gehorsam wiederum habe "nichts zu tun mit Fremdbestimmung und Selbstverlust", versicherte der Heilige Vater seinen Mitbrüdern im Priesteramt. "Im Eintreten in den Willen Gottes kommen wir erst zu unserer wahren Identität. Das Zeugnis dieser Erfahrung braucht die Welt heute gerade mitten in ihrem Verlangen nach 'Selbstverwirklichung' und 'Selbstbestimmung'."
Das Leben der Priester und Ordensleute sei "ein Wagnis", erklärte der Papst, "weil wir immer bedroht sind von Sünde, von Unfreiheit und Abfall".
An der Marianischen Vesper mit dem Papst in der Basilika von Mariazell haben rund 900 Priester und Ordensleute sowie 50 Bischöfe teilgenommen, u.a. auch der Bruder des Papstes, der Regensburger Priester Georg Ratzinger.
Warnung vor Verlust der Wahrheit
In seiner Predigt in Mariazell hatte der Papst audrücklich vor dem Verlust der Wahrheit gewarnt. Der christliche Glaube setze sich "entschieden der Resignation entgegen, die den Menschen als der Wahrheit unfähig ansieht", so der Heilige Vater. "Diese Resignation der Wahrheit gegenüber ist der Kern der Krise des Westens, Europas."
Weiters betonte der Papst, "wenn es Wahrheit für den Menschen nicht gibt, dann kann er auch nicht letztlich Gut und Böse unterscheiden". Aufgrund der Erfahrung der Geschichte gebe es aber auch die Angst davor, "dass der Glaube an die Wahrheit Intoleranz mit sich bringt". "Wenn uns diese Furcht überfällt, die ihre guten geschichtlichen Gründe hat, dann wird es Zeit, auf Jesus hinzuschauen", so der Papst.
"Europa ist arm an Kindern geworden"
Der Blick auf das Kind Jesus, wie es die Gnadenstatue von Mariazell zeige, erinnere auch an alle Kinder dieser Welt: "An die Kinder, die in der Armut leben, als Soldaten missbraucht werden, die nie die Liebe der Eltern erfahren durften, an die kranken und leidenden, aber auch an die fröhlichen und gesunden Kinder." Der Papst weiter: "Europa ist arm an Kindern geworden: Wir brauchen alles für uns selber, und wir trauen wohl der Zukunft nicht recht."
Der Pontifex betonte in seiner Predigt vor der Basilika von Mariazell auch, "dass Christentum mehr und etwas anderes ist als ein Moralsystem, als eine Serie von Forderungen und von Gesetzen". Das Christentum sei "das Geschenk einer Freundschaft", nämlich mit Jesus Christus. Darum trage das Christentum auch eine "große moralische Kraft" in sich, "derer wir angesichts der Herausforderungen unserer Zeit so sehr bedürfen".
Zehn Gebote neu lesen
Der Papst rief auch dazu auf, mit Christus und der Kirche die "Zehn Gebote" neu zu lesen: Diese Geboten seien ein "Ja zu Gott", ein "Ja zur Familie, ein Ja zum Leben, ein Ja zu verantwortungsbewusster Liebe, ein Ja zur Solidarität, sozialen Verantwortung und Gerechtigkeit, ein Ja zur Wahrheit und ein Ja zur Achtung anderer Menschen und dessen, was ihnen gehört". Dieses "vielseitige Ja" sei "Wegweisung in unsere Welt hinein", so Benedikt XVI.
Am Schluss des Gottesdienstes gedachte der Papst jener Menschen in Österreich, die in den letzten Tagen Opfer von Überschwemmungen wurden. Er sicherte ihnen seine Gebete, sein Mitgefühl und Betroffenheit zu. Die Pilger aus dem Ausland grüßte Benedikt XVI. u.a. auf Ungarisch, Kroatisch, Slowenisch, Tschechisch, Slowakisch und Polnisch.
Gebet für die zwei verstorbenen Pilger