Schematische Darstellung des natürlichen Zelltods: Der Körper erkennt entartete Zellen und zerlegt sie. Foto: Wikipedia

"Um eines vorwegzunehmen", sagt Veronika Sexl, "es gibt nicht die eine Ursache, die lymphatische Zellen entarten lässt." Da müssten schon mehrere Fehler aufeinandertreffen. Das hört sich wie bei einem Flugzeugunglück an, nur dass hier die Zelle nicht abstürzt, sondern sich unsterblich immer weiter vermehrt. Häufig führt es zum gleichen Ergebnis: dem Tod.

Körpereigene Regulierungsmechanismen

Doch wie beim Flugzeug müssen schon mehrere Betriebssysteme ausfallen, damit es zur Katastrophe kommt. "Es gibt ein eigenes Zellprogramm für den natürlichen Selbstmord", erklärt Sexl. Gewöhnlich aktivieren kranke Zellen diesen Selbstzerstörungsmechanismus namens Apoptose (siehe Grafik). "Unabhängig davon müssen entarte Zellen aber unsterblich werden und sich unbegrenzt teilen können", sagt Sexl und meint damit, dass auch körpereigene Regulierungsmechanismen wie Zellalterung und Teilungsfähigkeit im Falle von Lymphomen aus dem Ruder laufen.

"Betriebsunfälle" der lyphatischen Zellen

Auch bei den lymphatischen Zellen kann es während ihrer Entwicklung zu mehreren Betriebsunfällen kommen. Als Abwehrzellen durchlaufen sie vom Knochenmark bis zur endgültigen Funktion als T-, B- oder Plasmazelle bis zu acht Entwicklungsstadien, in denen ganz unterschiedliche Gene abgefragt werden müssen. "Dabei kommt es immer wieder dazu, dass ganze Chromosomenbereiche verdoppelt, verschoben oder gelöscht werden", sagt Ulrich Jäger, Lymphomexperte vom AKH Wien.

Protein zur T-Zellen Aktivierung

Bei einer schwer behandelbaren Form der Chronisch-lymphatischen Leukämie (CLL) wird etwa ZAP70 vermehrt gebildet, ein Protein, das die Aktivierung von T-Zellen signalisiert. Nun aber führt es dazu, dass der Körper massenhaft T-Zellen ohne Aufgabe produziert. Hingegen verhindert beim B-Zell-Lymphom ein mutiertes BCL2-Gen den Selbstmord der Zelle.

Biologicals

"Bei solchen Signalmolekülen liegen die Angriffspunkte neuer Medikamente", sagt Jäger und meint Biologicals, biotechnologisch hergestellte Antikörper, die Moleküle abfangen, oder Hemmstoffe, die gezielt Signalpfade blockieren. Rituximab oder Alituzumab gehören dazu. Einige der Mittel kann man mit radioaktiven Substanzen kombinieren, um Krebszellen zu zerstören.

Lenalidomid

Neuerdings gibt es ein weiteres Medikament: Lenalidomid. Es richtet sich gegen eine dritte Betriebsstörung, die Zellen entarten lässt. Denn das Microenvironment - oder besser: die direkte Nachbarschaft der Zellen - hat auch seinen Teil daran. "Zellen", so Jäger, "kommunizieren miteinander, versorgen sich gegenseitig mit Nährstoffen und erhalten Informationen über ihre weiteren Aufgaben." Nur über ihre Umgebung weiß eine Abwehrzelle, dass sie zur Abwehr gehört.

Abtasten der Bindungsfaktoren

Sie tastet mit Bindungs- und Koppelungsfaktoren ihre Umwelt ab. "Etwa mit CD44 bei der Leukämie", sagt Sexl. Es regelt die Entwicklung der Blutstammzellen im Knochenmark, werde aber ebenso von Krebsfaktoren genutzt, um eine Zelle entarten zu lassen. "Man kann bis heute leukämische Stammzellen nur in der Maus, aber nicht im Reagenzglas züchten", erklärt Sexl. So wichtig sei zelluläre Nachbarschaft.

Ähnliches weiß man von Lymphomen, nur kennt man ihr Umfeld noch nicht. Auch die Metastasenbildung scheint vom Microenvironment abzuhängen. "Entfernen wir bei Mäusen ein bestimmtes Signalmolekül aus dem Erbgut, siedeln sich lymphatische Tumorzellen nicht in der Leber an, sondern wandern in die Lunge." (eg)