Würde Neil Postman noch leben, wäre ihm der Kriminalfall Madeleine ein Beweis seiner Thesen. Vor mehr als zwanzig Jahren wies der Medienwissenschafter in seinem Buch "Wir amüsieren uns zu Tode" auf die Entwertung der Nachricht hin. Mit der Erfindung des Morse-Telegraphen 1844 wurde es erstmals möglich, Informationen schnell über weite Distanzen zu transportieren. Die Folge: Ein Überangebot von Nachrichten, die für den Medienkonsumenten kaum von wirklicher Bedeutung, aber eben "sensationell" und damit gut zu verkaufen waren.

Schrecklicherweise werden fast jeden Tag Kinder entführt oder getötet. Was dem Fall Madeleine das ausufernde Aufsehen verschaffte, war die Aktion der Eltern Kate und Gerry McCann, die sich für dramatische Suchkampagnen der britischen Boulevardpresse bedienten, was diesen Blättern entsprechende Auflagenzahlen bescherte. Sollte sich nun herausstellen, dass die McCanns im Wissen um den Tod ihres Kinds vier Monate lang die verzweifelt Suchenden gespielt haben, wäre das eine neue Dimension kriminell-geistiger Energie. Sich vom Papst trösten und in Hoffnung, die es wissentlich gar nicht gibt, halten zu lassen, dazu braucht ein Mensch unermesslich mehr Kraft als ein noch so hartnäckiger "Steher", der vor der Polizei kein Mordgeständnis ablegt. Wieder ein gefundenes Fressen für die Boulevardpresse, die in so einem Fall umso empörter schreit, weil sie davon ablenken will, dass sie auf einen Betrug hereingefallen ist.

Bleibt, bei aller Schrecklichkeit des Themas, eine Anregung: Medienproduzenten sollten überlegen, was auf dieser Welt von welcher Wichtigkeit ist - und Medienkonsumenten dürften das auch tun. (DER STANDARD; Printausgabe, 10.9.2007)