Foto: Klangspuren
Schwaz - Beinahe hätte der Rezensent diesmal auf den Knopf gedrückt. Ja, beinahe hätte er einen jener vor ihm am Gestühl befestigten Schalter betätigt, über die die Bauern des Inntals üblicherweise ihr Interesse an einem ansehnlichen Rindvieh kundtun. Denn die sonischen Eigenkapazitäten der Fleckviehversteigerungshalle in Rotholz bleiben traditionell ausgeklammert, wenn die hölzerne Arena im Rahmen der Klangspuren kreativ zweckentfremdet wird.

Es wäre keine Überraschung, würde man an diesem Ort einmal ein einschlägiges Integrationsexperiment wagen: Das Festival hat sich als Plattform für Zeitgenössisches etabliert. Was 2007 bereits zur Eröffnung in der Schwazer Tennishalle zu vernehmen war: Mit einer wuchtigen Wiedergabe von Iannis Xenakis' Persephassa erreichten die Schlagwerk-Ensembles The Next Step und Contakt tatsächlich eine neue Reife-Stufe - ermöglicht durch Werkstudium mit Ensemble-Modern-Perkussionistin Rumi Ogawa.

Für das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck und das Haydn-Orchester von Bozen und Trient mutierte hingegen die Bewältigung von Hans Werner Henzes 6. Sinfonie zum Elchtest. Unter Johannes Kalitzkes Leitung zeichnete man die fluktuierenden, farbenreichen Klangmassen akkurat nach. Und auch die Premiere konvenierte: Kurt Estermanns 3. Sinfonie lebte bei allen Assoziationen in Richtung neoklassizistischer Expressivität von der rhythmusorientierten Gestaltung des Materials und Momenten bildhaft-abstrakter Ambivalenz, während im Final-Teil plakative Rhythmik dominierte.

Rihm und Gielen

Tirol erschließt sich die zeitgenössische Musikwelt - und die diese ist in Tirol zu Gast. Zum vierten Mal begleitet heuer die Ensemble Modern Akademie das Festival, werden jungen MusikerInnen aus erster (Frankfurter Experten-)Hand Kenntnisse vermittelt, mit Wolfgang Rihm und Michael Gielen als Gastdozenten. Die Fokussierung zypriotischer Musik setzt die Suche an den Rändern Europas fort, während eine weitere Schwerpunktsetzung auf ein Zentrum (auch) zeitgenössischer Musik zielt - das Streichquartett.

Den Auftakt in dieser Hinsicht besorgte in den Kristallwelten das Quatuor Diotima: Hoch konzentriert gerade in den an der Hörschwelle angesiedelten Klängen von Helmut Lachenmanns Gran Torso, energie- und spannungslos hingegen in John Cages String Quartet in Four Parts. Gewinner des Abends war Misato Mochizukis Terres rouges, eine Gefüge einander überlagernder Pulsstrukturen.

Wie immer sucht man bei den Klangspuren mit allen Sinnen Zugänge zur Musik zu erschließen. Heuer konnte man die Parasole und Eierschwammerl, die man am Pillberg, hoch über dem Inntal, unter der Leitung von Klangforum-Geschäftsführer Sven Hartberger einsammelte, im Hotel Grafenast zu zeitgenössischen "Tafelmusiken" von Hindemith, Takacs und Gattermeyer, intoniert vom Tiroler Ensemble für Neue Musik, verspeisen. Und sich dabei in angemessener Konversation üben, anstatt in heiligem Ernst lauschend zu verstummen.

Bliebe noch die Frage zu klären, weshalb der Rezensent den Druck auf den Signalschalter in der Fleckviehversteigerungshalle unterließ. Sagen wir, es hatte mit dem aufmerksamkeitsbannenden Treiben zu tun, das sich in der Mitte des Halbovals begab. Fünf junge KomponistInnen hoben hier, mit dem Österreichischen Ensemble für neue Musik als Sachwalter, Stücke aus der Taufe. Nicht alles schien für die Ewigkeit bestimmt. Judith Unterpertingers Thirsty Camel; außen, von innen gefiel jedoch durch die periodische Verflüchtigung und Sammlung der Klänge wie des Ensemble-Tuttis.

Und Marios Joannou Elias packendes Thalatta, thalatta!, dessen detailreich, färbig auskomponierte Schroffheit sich folgerichtig in martialischen Rufen der Instrumentalisten fortpflanzte, hallt noch immer in den Ohren nach ... (Andreas Felber /DER STANDARD, Printausgabe, 11.09.2007)