ModeratorIn: derStandard.at begrüßt Unfall- und Blickforscher Ernst Pfleger, den Autor der EPIGUS-Studie, die begründet, warum "Licht am Tag" nun wieder eingestellt werden soll. Wir bitten die UserInnen um Fragen.

Ernst Pfleger: Ich darf Sie herzlich begrüßen und freue mich Ihre Fragen beantworten zu können.

ad vocem: Betrachtet ihre Studie ausschließlich hypothetische Gefahrenquellen durch Einflüsse auf die Sensomotorik oder untersucht sie auch die tatsächlich eingetretenen Veränderungen im Unfallgeschehen seit der Einführung der Lichtpflicht am Tag.

Ernst Pfleger: Meine Untersuchung beruht auf 1559 Interaktionen (Begegnungen), die blicktechnisch ausgewertet wurden. Verwendet wurde das High-Tech-viewpointsystem, mit einer Genauigkeit von 40 Tausendstel Sekunden und 15 Bogenminuten (eine Zigarettenschachtel wird auf 35 Meter getroffen) wurde das Blickverhalten von Fahrzeuglenkern hinsichtlich Ersterkennung von Fahrzeugen untersucht. Mit dieser Studie wurde erstmals in Europa (weltweit) das Blickverhalten untersucht, um entsprechende Aussagen tätigen zu können. Es geht daher nicht um statistische Interpretationen des Unfallgeschehens sondern um reale Feldbeobachtungen in Österreich und Bayern.

Bertee: angeblich hat LaT bewirkt, dass Fussgänger und Radfahrer öfters übersehen werden. Die Unfallszahlen 2006 im Vergleich zu 2005 zeigen aber ein anderes Ergebnis. z.b-2,3 bei den Unfällen mit Fussgängern, Rückgang der Fahrradunfälle in Wien. Wie erkl

Ernst Pfleger: Hier wäre die statistische Aufbereitung der oben genannten Zahlen zu hinterfragen. Die Praxis zeigt, dass gerade derartige Statistiken keine hohe Signifikanz aufweisen, da für Unfälle verschiedenste Unfallursachen maßgeblich sind. Signifikante Ergebnisse sind in dieser Form nur durch multivariante Auswertungen erreichbar, die es für vorgenannte Zahlen zu hinterfragen gilt. Bei meinen Untersuchungen konnte eindeutig nachgewiesen werden, dass zwar eine geringfügig bessere Früherkennung von Fahrzeugen durch LAT möglich ist, jedoch gerade im Reaktionsrelevanten Bereich Blickbindungen und Mehrfachzuwendungen auf Scheinwerfer gegeben sind. Das bedeutet daher, dass im aktuellen Vorfeld für Kraftfahrer Zeitdefizite für andere wichtige Aufgaben im Nahbereich auftreten, die zu Lasten der voran fahrenden Fahrzeuge, aber auch für Fußgänger, Radfahrer im Straßenraum gehen. Das Vorbeifahren beschränkt sich auf eine bestimmte Zeit, wobei bei Blickbindungen auf Scheinwerfer eben weniger Zeit für die Lösung von Problemen im Vorfeld zur Verfügung steht.

Kaiser Ferdinand: Was sind nun die eigentlichen Gefahrenfaktoren bei Licht am Tag?

Ernst Pfleger: Der Vorteil besteht in der Früherkennung, Nachteile sind durch Mehrfachblickzuwendungen mit längerer Dauer gegeben. Darüber hinaus gibt es Blendfaktoren, die vor allem im Geradeausverkehr und bei Linkskurven auftreten.

Rafaela: Gab es von Ihnen die Empfehlung, Licht am Tag abzuschaffen?

Ernst Pfleger: Wie bereits im Jahre 2000 wurde auch jetzt von mir - nun mit höherer Genauigkeit durch Blickuntersuchungen - festgestellt, dass LAT nicht nur Vorteile bringt, sondern auch Nachteile bringt, sodass bereits im Jahre 2000 die Einführung nicht empfohlen wurde. Beim Expertenhearing vor 2 Jahren wurde von mir die Einführung von LAT nicht befürwortet. Ich habe daher den Herrn Bundesminister aufgrund der Ergebnisse der Studien die Abschaffung von LAT mit Abblendlicht empfohlen und gleichzeitig die Einführung von Tagfahrlicht und Dämmerungsschalter empfohlen.

Userfrage per Mail: Halten sie die angekündigte Rücknahme der Maßnahme für eine populistische bzw. parteipolitisch motivierte Aktion?

Ernst Pfleger: Nein. Es ist den Repräsentanten der Politik über alle Fraktionen hinweg hoch anzurechnen, dass sie bereit sind ihre Handlungen auch auf Ergebnisse neuester wissenschaftlicher Methoden und Studien zu setzen und auch Änderungen herbeiführen.

Abis Zett: Gibt es auch Situationen wo LAT vorteilhaft ist?

Ernst Pfleger: Selbstverständlich, ins besonders bei schlechter Sicht sind die Vorteile von LAT gegeben. Aus diesem Grund wurde von mir bereits im Jahr 2000 vorgeschlagen, dass die Automobilclubs und Verkehrssicherheitsexperten gemeinsam einen Katalog erarbeiten, und diese Situationen definieren und auch in der Öffentlichkeit publizieren. Gemäß STVO gibt es bereits heute Bedingungen, bei denen Licht einzuschalten ist, diese Zusammenstellung könnte noch erweitert werden.

H. K.: Muss man bei Licht am Tag nicht auch zwischen Land- bzw. Stadtgebiet unterscheiden? Am Land, besonders im Herbst, wird man mit Licht doch viel besser gesehen...

Ernst Pfleger: Selbstverständlich. Die Untersuchungen wurden sowohl im Ortsgebiet als auch im Freiland durchgeführt. Bei schlechten Sichtverhältnissen soll nach wie vor das Licht eingeschaltet werden. Hier ist die Eigenverantwortung - wie gesetzlich vorgeschrieben - maßgebend.

Userfrage per Mail: Wo kann ich die EPIGUS-Studie zur "Licht am Tag"- Untersuchung einsehen?

Ernst Pfleger: Die Studie liegt derzeit als Erstinformation vor, bitte diesbezüglich mit der Presseabteilung des Herrn Bundesministers Verbindung aufzunehmen.

Userfrage per Mail: Licht am Tag ist ja, lange bevor das KfV seine Trommelei dafür begann, schon gesetzlich als Empfehlung für unübersichtliche und kurvige Straßen festgeschrieben gewesen; hat aber kaum einer beachtet. Meiner Erfahrung nach ist die Empfehlung ja auch u

Ernst Pfleger: Diese Wahrnehmungen sind aus sicherheitstechnischer Sicht völlig richtig. Es muss uns bewusster werden, dass Unfallgefahr nicht ausschließlich vom Gegenverkehr ausgeht, sondern vorrangig im direkten Nahbereich (Vorfeld) des Fahrers gegeben ist. So gesehen hat LAT ausschließlich bei geplanten Überholvorgängen Sinn, bei anderen Interaktionen sind Sicherheitsvorteile nur geringfügig vorhanden. Im Zusammenhang mit Fußgängerquerungen wurde festgestellt, dass vor allem ältere Menschen bei herankommende Fahrzeugen aufgrund LAT sich nicht mehr trauen die Straße zu queren und daher in der Praxis das Gegenteil des Vertrauengrundsatzes beobachtet werden konnte. (Bedrohung)

Rafaela: Die Evalierung des KfV bringt aber doch andere Ergebnisse.

Ernst Pfleger: Mit meiner Studie wurden erstmalig sehphysiologische bzw. blicktechnische Zusammenhänge erforscht. Seitens des KfV beschränkte man sich auf die Interpretation von Unfalldaten, wobei die Signifikanz vielfach problematisch ist. So kann beispielsweise deutlich ausgeführt werden, dass bei den hohen Temperaturen beginnend vom Jahresanfang bis zum Sommer zweifellos Einspurige verstärkt unterwegs waren, bzw. insgesamt mit höheren Geschwindigkeiten gefahren wird. Das ist für mich beispielsweise eine Erklärung, dass signifikante Beurteilungen von LAT gar nicht möglich sind und z.B. die oben genannten Zusammenhänge statistische Interpretationen zudecken.

oldskool: Sollte man dann, Ihrem Argument der Blendfaktoren zufolge, nun das Fahren MIT Licht strafbar machen?

Ernst Pfleger: Nein sicher nicht. Die Entscheidung Licht einzuschalten obliegt dem Fahrzeuglenker in Eigenverantwortung, er soll für sich auf Grundlage seiner subjektiven Bewertung eine Entscheidung treffen.

Geronimo Xi: mich würde interessieren, warum es vielen Ländern LaT gibt und wie es dort mit den Erfahrungen mit Unfällen aussieht. Außeredem, ob die hohe Zahl der Motorradunfälle nicht vielmehr daran liegt, dass heuer die Witterung gut war und mehr Leute unterwe

Ernst Pfleger: Ich teile Ihre Meinung, dass die Zahl der Motorradunfälle mit den Witterungsgegebenheiten korreliert. Statistische Interpretationen in den einzelnen Ländern müssten noch viel stärker derartige Einflussgrößen berücksichtigen.

Rafaela: Ihre Studie zeigt zwar, dass man abgelenkt wird: Aber ist das Ende von Licht am Tag wirklich die geeignete Maßnahme? Wäre nicht eine Regelung, wonach im Winterhalbjahr Licht am Tag Pflicht ist, besser? Es gibt ja viele Leute, die bei schlechter Sich

Ernst Pfleger: Die Entscheidung LAT in Abhängigkeit von Sommer/Winter einzuschalten ist nicht sinnvoll, da sowohl im Winter völlig klare Witterungsverhältnisse gegeben sind als auch im Sommer trübe Witterungsverhältnisse auftreten können.

penpen: "Viele andere Länder können nicht irren" - Argument des KfV. Aus welchen Gründen hält sich LAT dort?

Ernst Pfleger: Ich habe erstmals in Europa blicktechnische Untersuchungen zu diesem Thema durchgeführt, die Entscheidungen in anderen Ländern fußen generell auf statistischen Daten. Anzustreben sind zusätzlich zu den blicktechnischen Untersuchungen auch neurologische Studien, um die Einflussgröße der Lichtbelastung auf das Gehirn zu definieren. Diese sollten auch noch mit augenmedizinischen Betrachtungen erweitert werden.

Bertee: Bei den mir bekannten Eyetracking-Systemen kann man aber nur feststellen welche Objekte jemand mit dem Blick fixiert (Messung von Fixationen). Gerade bei Untersuchung mit bewegten Objekten, also dem Straßenverkehr ist aber das periphere Sehen, also

Ernst Pfleger: Meine Messgeräte berücksichtigen das foveale Erkennen, den parafovealen Bereich sowie das periphere Wahrnehmen. Mit war es wichtig, vor allem die Blickbindungen im Nahbereich herauszuarbeiten, die auf entgegenkommende Fahrzeuge entstehen. Bei sämtlichen Blickfilmen konnte festgestellt werden, dass real von entgegen kommenden Fahrzeugen keinerlei Gefahr ausgeht. Unfallgefahren sind gerade im Vorfeld der Fahrzeuglenker gegeben, das aber aufgrund der vorgenannten Blickbindungen mit weniger Navigationspunkten erkannt werden kann. Es können somit auch periphere Ereignisse im Vorfeld weniger leicht erkannt werden. Es wäre überhaupt von großer Wichtigkeit praktisch den Sinn von LAT im Zusammenhang mit allen möglichen Interaktionen die im Straßenverkehr möglich sind zu diskutieren. Führt man das durch, erkennt man, dass LAT nur in Teilsequenzen wirksam sein kann.

Diego Maradona: künftig wird es auf der straße eine mischsitution geben. die einen werden das licht einschalten, die anderen nicht. bei einem überholmanöver etwa wird ein beleutetes fahrzeug ein nicht beleuchtetes maskieren. wird das nicht automatisch zu mehr unfäl

Ernst Pfleger: Ihre Frage bestärkt mich, dass möglichst rasch ein Katalog für Empfehlungen wann und in welchen Situationen LAT geschalten werden soll, zu erstellen ist. Es würde die Möglichkeit bestehen gerade aufgrund des großen Interesses damit einen großen Bewusstseinsschub zu erreichen.

Para Dox: Wieso haben Sie Licht am Tag bereits im Jahr 2000 abgelehnt? Ihrer Meinung nach (mehr oder weniger) eindeutige Daten stehen Ihnen ja erst jetzt zur Verfügung.

Ernst Pfleger: In einer Wiener Tageszeitung wurde diese Meldung fälschlicherweise veröffentlicht. Wahr ist viel mehr, dass ich bereits in 2 Vorstudien im Jahre 2000 die Einführung des LAT nicht empfohlen habe, bzw. im Expertenhearing vor 2 Jahren LAT abgelehnt habe, weil nicht nur Vorteile damit verbunden sind. Ich habe bereits heute diese Fehlmeldung über die APA richtig gestellt.

Charly Redcar: mit ihrer studie wollen sie ja letztendlich die verkehrssicherheit steigern, nehme ich an. wie passt da dazu, dass sie in einer studie vor 2 jahren auch tempo160 gutgeheißen und damit die einführung am testabschnitt unterstützt haben?

Ernst Pfleger: Diese Frage würde ich gerne mit Ihnen persönlich umfassend diskutieren. Ich betreibe seit 35 Jahren Unfallforschung und seit 10 Jahren intensive Blickforschungen. Gefahrensituationen entstehen meist dann, wenn zu hohe Informationsdichten vorhanden sind. Unfälle sind dann meist die Folge. Umgekehrt bedeutet dies, dass bei geringsten Informationsbelastungen und bestausgebauten Straßen das absolute Unfallrisiko äußerst gering ist. Aus diesem Grund sind daher Autobahnen mit geringsten Verkehrsaufkommen auch mit höheren Geschwindigkeiten sicher befahrbar. Als Auflage war damals von mir auf der A10 eine Telematikanlage vorgeschlagen, die genau nur bei sicheren Verkehrszuständen das Fahren mit höheren Geschwindigkeiten möglich macht. Bei schwierigen Fahrverhältnissen wird selbstverständlich das Fahren mit höherer Geschwindigkeit abgelehnt.

Moderator-Message: Auf Grund der vielen UserInnen-Fragen gibt es eine Chat-Verlängerung von fünf Minuten.

Moderator: Auf Grund der vielen UserInnen-Fragen gibt es eine Chat-Verlängerung von fünf Minuten.

AH9: Wieviel hat diese Studie gekostet?

Ernst Pfleger: Die Studie wurde im Auftrag des BMVIT erstellt. Statt den von mir angebotenen 400 Interaktionen wurden nahezu 1600 Fälle wissenschaftlich blicktechnisch ausgewertet. Die Aufwendungen werden knapp über 30 000 Euro betragen.

cig: Als Motorradfaher wurde mich interessieren, ob tatsaechlich durch das Licht bei Tag bei Autos eine benachteiligung fuer Einspurige KFZ gegeben ist, und wie sich diese aus Ihrer Studie heraus begruendet.

Ernst Pfleger: Meine Untersuchungen haben sich hauptsächlich auf Interaktionen mit PKW bezogen. Unabhängig davon liegen selbstverständlich blicktechnische Erkenntnisse im Zusammenhang mit Einspurigen vor, wobei real auch Einspurige durch LAT benachteiligt waren.

Krampen: Es reicht ein einziges Kind welches durch LaT gerettet wird, da es den herannahenden Verkehr nicht übersieht um LaT für ganz österreich das ganze jahr rechtfertigt. oder sehen sie das anders?

Ernst Pfleger: Ich bin sehr dafür, dass schwächere Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger, ins besonders Kinder und alte Menschen besonders geschützt werden. Dies ist vor allem durch verbesserte Ausgestaltung von Schutzwegen mit besseren Sichtverhältnissen und straßenbaulichen Maßnahmen zur Dämpfung von Fahrgeschwindigkeiten möglich. Es ist längste Zeit weitere zukunftsweisende Maßnahmen direkt vor Ort zu setzen. So kann durch Anlage von LEDs oder sonstigen lichttechnischen Verbesserungen viel mehr erreicht werden als durch LAT.

lava lava: gibt es andere maßnahmen zur erhöhung der verkehrssicherheit, die Sie gerne durchgesetzt sehen würden? wenn ja, welche wären die dringendsten?

Ernst Pfleger: Ich glaube es ist höchste Zeit, dass seitens der Verkehrsexperten ein Verkehrssicherheitsprogramm erstellt wird, dass den jüngsten Stand der Wissenschaft und Forschung berücksichtigt. So gibt es heute bereits in Österreich modernste Richtlinien (vergleiche Richtlinie für Verkehrssicherheit-Audit, Road-safety-inspections und andere), die behördlich umgesetzt werden müssten. Es gilt überhaupt für die Sicherheitsarbeit die Verkehrsbehörden stärker einzubeziehen. Ich selbst bin ein Gegner von Maßnahmen die ausschließlich nur öffentlichkeitswirksam in Erscheinung treten und nur geringen Sicherheitseffekt haben. So gesehen gilt es die Aufgabe der örtlichen Unfallforschung gemäß §96/1 STVO (Sanierung von Unfallstellen) viel stärker zu verfolgen.

ModeratorIn: Die Zeit ist nun leider um. Das war der Chat zu "Licht am Tag". Auf Grund der enormen Menge an Fragen konnten leider nicht alle beantwortet werden. Wir bedanken uns bei Herrn Pfleger und den UserInnen. Schönen Tag noch und fahren Sie vorsichtig!

Ernst Pfleger: Ich danke für die vielen interessanten Fragen, die mich bestärkt haben in der Auffassung, dass Verkehrssicherheit alle angeht. Ich gehe davon aus, dass mit meiner Studie und möglichen medizinischen Studien auch im EU-Bereich eine neue Form der Diskussion gefunden werden kann, um europaweit richtige übereinstimmende Maßnahmen setzen zu können. Das Einschalten von Licht bei schwierigen Verhältnissen ist selbstverständlich weiterhin ganz wichtig.