Fast spannender noch als der Irak-Bericht der obersten US-Offiziellen in Bagdad, General David Petraeus und Botschafter Ryan Crocker, ist der Diskurs darüber. Schon Tage bevor Petraeus und Crocker am Montag dem Kongress Rede und Antwort standen, begann die stark polarisierte Debatte in den Medien. Die meisten Zeitungsleitartikler warteten den Bericht selbst gar nicht mehr ab - sie hatten ihre Meinung auch ohne Text.

Tatsächlich fühlt man sich zeitweise in Vorkriegszeiten - vor die Irak-Invasion im März 2003 - zurückversetzt: Die Welt ist, nach der jüngsten PR-Kampagne der US-Regierung, wieder unterteilt in Gläubige und Ungläubige in die amerikanische Irak-Politik. Wobei weniger als Unglaube - nämlich Skepsis oder allein der Hang zu den Fakten - genügt, um sich von den Gläubigen wieder das Etikett Defätist (das ist das freundlichste) umhängen zu lassen.

Also, in aller Nüchternheit: Petraeus hat empfohlen, dass die im Frühjahr 2007 begonnene Truppenaufstockung auf 160.000 so lange aufrechterhalten werden sollte, wie es der US-Armee aus Kapazitätsgründen nur irgendwie möglich ist. Erst im Juli 2008, länger als fünf Jahre nach der Invasion, soll die Truppenstärke wieder auf 130.000 reduziert sein.

Da Petraeus, wahrlich ein beeindruckender Mann, dies jedoch gleichzeitig mit Beteuerungen vorbrachte, dass die US-Militärstrategie im Irak aufgehe, wurde seine Empfehlung von manchen Beobachtern als Grund zum Optimismus gewertet. Die eigentliche Botschaft ging unter: dass die US-Armee im Irak momentan nicht signifikant reduziert werden kann.

Petraeus' Hauptargument dafür, dass sich im Irak die Dinge zum Besseren gewendet haben, ist, dass die sunnitischen Stämme in der Provinz Anbar nun erfolgreich gegen Al-Kaida kämpfen (dazu später mehr). Militärisch hat das mit der Truppenaufstockung, die im Rahmen des Bagdad-Sicherheitsplan vonstatten ging, wenig bis gar nichts zu tun. Die Truppen werden hauptsächlich gebraucht, um die unverändert prekäre Lage in Bagdad unter Kontrolle zu halten. Prognosen, wann Bagdad ohne US-Militär auskommen könnte, gibt es keine.

Auffällig ist, dass in der Berichterstattung fast nur Petraeus, der General, vorkommt, während Botschafter Crocker, der diplomatische Vertreter der US-Regierung, beinahe untergeht. In Europa mag das auch daran gelegen sein, dass Crockers Auftritt spät in die Nacht fiel. Aber bereits im Vorfeld wurde beinahe immer nur vom "Petraeus-Bericht" geredet. Die politische Schiene - der einzige Sektor, auf dem die USA bis zur irakischen Regierungsbildung 2006 Erfolge reklamierte - ist völlig in den Hintergrund gerückt.

Denn auch Interessierte können dem, was in Bagdad politisch los ist, kaum mehr folgen. Wer ist gerade ausgezogen aus Regierung oder Parlament, wer wohin zurückgekehrt? Was ist aus diesem oder jenem hochgejubelten Gesetzesentwurf geworden, steckt er im Parlament oder noch immer im Kabinett, das, geschrumpft wie es ist, keine repräsentative Basis mehr hat?

Am schwierigsten fällt jedoch die Bewertung dessen, was die Amerikaner nun als große Chance feiern: die - durch Geld und Waffen erkaufte - Allianz mit den ehemals aufständischen sunnitischen Stämmen in Anbar und Diyala. Man kann sich nur wünschen, dass sich dieser heutige "Erfolg" nicht als einer der großen Fehler der USA im Irak erweist.

Als sich die Stämme gegen die zu mächtig gewordenen islamistischen Extremisten zu wenden begannen, wollten und mussten die USA das unterstützen. Aber dass in diesem Kontext auch so manches andere ausgefochten wird (vom US-Militär vielleicht teilweise unbemerkt), liegt auf der Hand. Die ersten Videos von Gräueltaten der Stammesmilizen sind bereits in Umlauf. Welche politische Rolle auf nationaler Ebene sie einmal einnehmen werden, und wie sie zur Machtteilung mit den Schiiten stehen, wird man sehen. Sorge ist jedenfalls angebracht, wie immer im Irak. (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 12.9.2007)