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"Was Europa heute charakterisiert und attraktiv macht, ist seine Vielfalt." - Entwurf für die neue Moschee in Köln

Foto: AP/ ROBERTO PFEIL
Klaus Hödl ist wissenschaftlicher Leiter des Centrums für Jüdische Studien an der Karl-Franzens-Universität Graz

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Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis die gegen den Radikalismus des Islam gerichteten Texte von Hans Rauscher eine bedenkliche, antijüdisch auslegbare Note erhielten: Für eine monologische Perspektive, die zumeist undifferenziert "den" Islam "dem" christlichen Europa gegenüberstellt, kann auch das (religiöse) Judentum nur als "das Andere" von Europa gelten.

Wenn der Kolumnist im Standard (8./9. 9. 2007) darüber philosophiert, wie sehr sich der "vorderasiatische Glaube vom zürnenden, eifersüchtigen, gelegentlich den Völkermord befehlenden Gott der Israeliten" vom Christentum unterscheide, bedient er sich einer Diktion, die fast wortwörtlich bei Karl Eugen Dühring und vielen anderen Antisemiten vor allem des 19. Jahrhunderts nachzulesen ist. Er trägt eine verzerrende und selektive Deutung der jüdischen Gottesvorstellung vor. Ihr ist entgegenzuhalten, dass das vermeintlich genozidale Element der Bibel nicht "gelegentlich" von Gott befohlen wurde, sondern sich ausschließlich auf die Ermordung der Kanaaniter an einem bestimmten Ort bezog; und es bildet kein konstitutives Element religiösen Judentums, sondern wurde von den Rabbinern des Talmuds aufgehoben.

Fragwürdiges "Projekt"

Ohne die eminente Rolle des Christentums für die Herausbildung Europas leugnen zu wollen, so scheint doch, dass vieles, was Europa lebenswert macht, erst in der Auseinandersetzung gegen die Kirche und durch die Zurückdrängung ihres Einflusses geschaffen worden ist. Wie auch immer der Beitrag des Christentums zu den Voraussetzungen der Moderne ausgesehen hat, so ist diese in weitem Maße ein areligiöses, wenn nicht gar anti-religiöses Projekt, indem die kritische Vernunft an die Stelle des Glaubens gesetzt wurde.

Diese Ratio, die zweifelt, fragt, vor allem auch hinterfragt, hat einer der bekanntesten Philosophen im ausgehenden 18. Jahrhundert, Moses Mendelssohn, als Grund dafür genannt, Jude zu bleiben und nicht zum Christentum zu konvertieren, das von vernunftfernen Dogmen beherrscht würde. Mit Mendelssohn könnte man das moderne Europa eher als jüdisch denn christlich bezeichnen. Diese Conclusio wurde von einem anderen jüdischen Gelehrten des 19. Jahrhunderts, Abraham Geiger, formuliert. Er hat sich gegen die von christlichen Theologen verbreitete Vorstellung gewandt, dass Judentum ein antiquierter Vorgänger des Christentums sei, und dargelegt, dass Letzteres direkt aus dem Judentum hervorgegangen sei und im Wesentlichen nichts Neues vorgestellt habe. Judentum, und nicht Christentum, so meinte er, sei der Kern der westlichen Zivilisation. Selbst die Moderne, ihre Offenheit gegenüber kritischem Denken, sei als ein jüdisches Phänomen zu betrachten.

Ob Mendelssohn und Geiger Recht haben oder Rauscher zuzustimmen ist, mag dahingestellt bleiben. Judentum und Christentum sind zwei unterschiedliche hermeneutische Systeme zur Deutung der Bibel, und eine Disputation über die Rolle der jeweiligen Religion in der Herausbildung Europas ist deswegen wenig zielführend. Die Hinweise auf Mendelssohn und Geiger lassen aber erkennen, dass es neben der von Rauscher wiedergegebenen christlichen Deutung der Entstehung Europas auch eine jüdische Auslegung gibt, und vielleicht nicht nur eine, sondern viele jüdische Auslegungen, und daneben noch unzählige andere. - Interessanter scheint es, das Konzept eines nicht jüdischen, und konsistenterweise wohl mildtätigen, christlichen Gottes an konkrete Erfahrungen von Menschen rückzukoppeln.

Monologische Sicht

Es wäre zu fragen, wie diese apologetische Auslegung von Christentum angesichts einer sich über Jahrhunderte hinziehenden Leidensgeschichte der Juden, die in starkem Maße durch christlichen Antijudaismus hervorgerufen wurde, bestehen kann? Müsste man angesichts dessen nicht vor einem christlichen Projekt Europas warnen?

Was Europa heutzutage charakterisiert und attraktiv macht, das ist seine Vielfalt. Historisch gesehen waren die Blütezeiten Europas immer mit (interreligiösem, interkulturellem) Austausch verbunden. Ein Beispiel bildet die islamische Herrschaft auf der Iberischen Halbinsel, die vor allem auch wissenschaftlich eine unglaublich fruchtbare Periode darstellte. Phasen kultureller und geistiger Dynamik in der Geschichte Europas - und nicht zuletzt von Wien um 1900 - waren häufig von einem Miteinander von Christen und Juden, aber auch von Muslimen getragen. Eine monologische Sichtweise, die von "dem" Islam schreibt, "dem" Christentum und "dem" Judentum, verabschiedet sich von einem wesentlichen Element des aufgeklärten europäischen Erbes, nämlich der Ratio und der damit verbundenen Differenzierungsfähigkeit. Gleichzeitig werden damit Denkstrukturen bedient, die auch die Basis totalitärer, menschenverachtender und antisemitischer Konzepte darstellen. Sie sollten keinesfalls zum "Zukunftsprojekt Europa" gehören. (Klaus Hödl/DER STANDARD Printausgabe 13.9.2007)

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Die entsprechende Textpassage "der vorderasiatische Glaube vom zürnenden, eifersüchtigen, gelegentlich den Völkermord befehlenden Gott der Israeliten sei erst in der hellenistisch beeinflussten Welt, in der Christus und vor allem die Evangelisten und der Apostel Paulus lebten, zum eigentlichen Christentum geworden" ist eine - zugespitzte - Interpretation der vorher zitierten Ansicht von Benedikt XVI., dass "das Christentum trotz seines Ursprungs im Orient schließlich seine entscheidende Prägung in Europa erfahren hat". Aus dem Textzusammenhang geht auch hervor, dass es sich eben um eine härter formulierte "Exegese" von Benedikt XVI. handelt. (rau)