Elke Jeanrond-Premauer veranstaltet "Denkwochen".
Foto: Sebastian Hartz
Ihr Großvater war Schuhzwicker, bis er sich in den 30er-Jahren entschloss, mit dem Leiterwagen von Haus zu Haus zu ziehen, um Getränke zu verkaufen. "Er hat sich so durchgewurschtelt. Letztlich ist es ihm in dieser schwierigen Zeit gelungen, einen florierenden Getränkehandel aufzubauen", erzählt Elke Jeanrond-Premauer. "An seinen Mut und seine Kraft habe ich immer denken müssen, als ich vor fünf Jahren selbst begonnen habe, meine Visionen in die Tat umzusetzen."

Mit der Frage "Wo ist eigentlich mein Platz?" begann alles. "Jedenfalls nicht hier", dämmert es der 47-jährigen Journalistin. Sie arbeitete damals als Abteilungsleiterin beim Bayrischen Rundfunk - erfolgreich. Zufriedenheit oder Freude an der Arbeit wollten sich jedoch einfach nicht einstellen, und so kündigte sie ihre Stelle. "Ich bin jemand, der Leute zusammenbringen und sich mit ihnen austauschen will, ich koche und dekoriere gerne. All diese Liebhabereien wollte ich an einem Ort verwirklichen", beschreibt Jeanrond-Premauer ihre Idee.

Unterstützt von ihrer ganzen Familie begann sie, den richtigen Platz für ihr Vorhaben zu suchen, und fand ihn in der 140-Seelen-Gemeinde Orion in Südwestfrankreich. "Als ich vor dem heruntergekommenen Landschloss stand, spürte ich sofort den Genius Loci und wusste: Hier wird mein Traum Wirklichkeit!"

Was folgte, waren drei harte Jahre. Die Renovierung gestaltete sich in jeder Hinsicht aufwändiger als erwartet, Termiten hatten den ganzen Dachstuhl zerfressen. "Dazu kam noch, dass es mir ganz wichtig war, mit der Renovierung nicht die Geschichte dieses alten Gemäuers zu verwischen. Ich konnte mich von nichts trennen", so Jeanrond-Premauer.

Denkwochen

Letztes Jahr war es dann endlich so weit, die Pforten des auf Vordermann gebrachten Schlosses wurden erstmals für die Gäste der "Denkwoche" geöffnet. "Ich will hier einen Salon auf Zeit schaffen. Ein kleiner Kreis kommt für eine Woche zusammen, tauscht sich zu einem Thema aus und überdenkt vielleicht das eine oder andere neu", erklärt die Gastgeberin ihr Konzept.

Um dem Ganzen Qualität zu verleihen, holt sie sich für jede "Denkwoche" renommierte Vortragende, die durch das Wochenthema leiten. Humanismus, Globalisierung, Beethoven oder der Sinn der Neugier, all das stand schon am Tapet. In den Denkpausen wird im Salon getafelt. An dem großen Tisch haben nicht mehr als 14 Leute Platz, deshalb ist die Denkrunde auf diese Zahl beschränkt. "Die Zeit hier soll ein fröhliches Miteinander sein, fern jeder Ideologie. Hier ist man kein Seminarist, sondern Mensch", darum achtet die Schlossherrin auch darauf, dass hier jeder genügend Spielraum hat. "Wer das Programm mitmachen will, kann das tun. Wenn jemand lieber spazieren gehen oder ein Buch lesen will, ist das genauso in Ordnung. Nur kein Zwang!"

Zehn "Denkwochen", mehr nicht, veranstaltet Jeanrond-Premauer jedes Jahr und ist bei jeder selbst dabei. Auch wenn es aus wirtschaftlicher Perspektive durchaus Sinn machen würde, viel öfter Interessierte nach Orion zu holen, tut sie es nicht. Sie setzt sich auf die Bank vorm Schloss und lässt ihren Blick über die Hügel schweifen: "Ich glaube an das Wirken im kleinen Kreis. Das kann ich hier, meinen Platz habe ich gefunden." (Judith Hecht, DER STANDARD, Print, 15./16.9.2007)