In der aktuellen Finanzkrise wurde am Freitag eine wichtige Grenze so schnell wie noch nie überschritten: diejenige zwischen der fernen virtuellen Realität der Finanzspekulationen und der sehr realen Welt der Konsumenten. Von geplatzten "Asset Backed Securities" und amerikanischem "Credit Crunch" zu langen Warteschlangen von Menschen, die um ihre Ersparnisse bei einer an der Krise schuldlosen britischen Bank fürchteten, war es nur noch ein kleiner Schritt.

Die Finanzwelt ist die einzige Branche, die bereits weltweit vollständig liberalisiert ist und nicht nur geografisch keine Grenzen mehr kennt. Holdings in der Karibik und Niederlassungen in Jersey hat nicht nur der Meinl, und es sind immer neue und gewagtere Konstruktionen, die den Anlegern ans Herz gelegt werden. Das Risiko dahinter wird nicht mehr durchschaut, selbst wenn der Investor eine Bank ist und eigentlich dafür Spezialisten haben sollte. Doch offenbar hat nicht nur der Aufsichtsrat der Bawag da nicht mehr so ganz durchschaut, was da alles geswapt, gehedgt und gemergt wird.

Doch die tollen Geschäfte abdrehen, solange alles gut geht, das bringt kein Vorstand zusammen. Denn die Aktionäre wollen hohe Renditen sehen. Das ist die Kehrseite der Quartalsberichts-Mentalität.

Doch leider leben die Jäger nach höchsten Renditen nicht in ihrer eigenen Welt, wo sie ungestört in Konkurs gehen könnten. Die enge Verzahnung der internationalen Finanzmärkte ist die Bestätigung für die Theorie, nach der der Flügelschlag eines Schmetterlings in China in der Karibik oder in Wien einen Wirbelsturm auslösen kann.

1200 Milliarden Dollar könnten die geplatzten US-Immobilienkredit-Spekulationen die Banken weltweit insgesamt kosten, meint der niederländische Vertreter in der Europäischen Zentralbank. Dass das auch einige Banken samt Spareinlagen nicht überleben könnten, ist nicht ganz unwahrscheinlich. Falls nicht die öffentliche Hand einspringt, um noch größeres Unheil abzuwenden. Was ein weiteres, nicht besonders faires Detail der Spekulationen aufdeckt: Gibt es Gewinne, gehören sie der Bank und den Aktionären, sind also "privatisiert".

Verluste gehören aber dem Steuerzahler, der hilfreich einspringen muss. Und der zur Abrundung – wie im aktuellen Fall – auch ein schwächeres Wirtschaftswachstum hinzunehmen hat.

Die Liberalisierungen nicht nur des Finanzsektors haben viel gebracht. Der freie Warenverkehr, die Telekommunikation, Energie und vieles mehr wurden vom Monopolstaub befreit. Doch die Finanzindustrie ist um einige Schritte zu weit gegangen. Kaum ein Politiker wird es noch einmal hinnehmen wollen, dass einige anonyme Großspieler die weltweite Konjunktur stärker beeinflussen, als diverse Wirtschaftsprogramme und Fördervorhaben dies je ausgleichen könnten. Wie wenig die Politik aber auf diese Situation vorbereitet ist, zeigt auch die bange Frage am EU-Finanzministertreffen in den letzten Tagen: Wer haftet für die großen, grenzüberschreitenden Bankriesen, die in den vergangenen Jahren entstanden sind? Wer zahlt, wenn sie ins Schleudern geraten?

Bisher hat die EU immer größte Angst gezeigt, wenn es galt, die Finanzindustrie in die Schranken zu weisen. Hedgefonds wurden gerade einmal höflich gebeten, mehr Transparenz zu zeigen. Wenn es genehm ist. Die derzeitige Krise ist da hoffentlich ein lehrreicher Schock.

So wie die Zeit der grenzenlosen Übernahmen mit dem Eintritt Chinas und Russlands in den Kapitalismus zu Ende ist und jedes Land bereits an Richtlinien arbeitet, um „die nationale Sicherheit gefährdende“ Übernahmen zu untersagen, so ist auch die Zeit der grenzenlosen Finanzmarkt-Freiheit nun zu Ende. Denn sie wird zu teuer.

Wie allerdings neue Rahmenbedingungen aussehen könnten, die modernen freien Märkten gerecht werden und die doch das Risiko eines weltweiten Finanzchrashs verringern, steht noch nicht einmal in den Sternen.(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.9.2007)