In einem einzigen Punkt waren sich EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes und Microsofts Chefjurist Brad Smith einig: Das Urteil des EU-Gerichts in der Berufungsverhandlung über die Wettbewerbsstrafe von 497 Millionen Euro gegen Microsoft sei richtungsweisend.

Vor allem weist es weit in die Vergangenheit. Der Kampf Internet-Explorer gegen Netscape und der Streit um den fix eingebauten Windows-Mediaplayer ist am Markt schon lange entschieden, aber dennoch wäre alles andere als eine Bestätigung der Strafe eine Katastrophe gewesen: Der Freibrief für Superkonzerne, auch in anderen Branchen marktbeherrschende Stellungen brutal auszunützen.

Baustelle Vista

Und wie sehr ein einmal erreichtes Monopol auch auf Kosten der Kunden geht, zeigt das neue Microsoft-Betriebssystem Vista: Auch noch viele Monate nach Markteinführung ist das Produkt eine unfertige Baustelle, und entnervte Konsumenten wechseln: Nicht zur Konkurrenz, die es mit Apple und Linux nur in Nischen gibt, sondern zur Vorgängerversion XP. Kein Unternehmen unter Konkurrenzdruck könnte es sich leisten, seine Kunden als Versuchskaninchen zu missbrauchen, ohne gleich vom Markt zu verschwinden. Doch Microsoft muss sich nicht fürchten: Wer nicht heute zu Vista wechselt, bekommt es morgen mit dem nächsten neuen Computer.

Dass sich diese Verhältnisse auch auf andere Bereiche der Softwareindustre ausweiten, sei mit dem Urteil verhindert, jubelt die Kommission.

Das stimmt nur zum Teil. Denn die Realität sieht heute völlig anders aus als die, die dem Verfahren zugrunde lag. Google, YouTube, Apples iTunes: Sie existierten damals maximal als Idee und haben heute Marktanteile von bis zu 80 Prozent.

Die schnelllebige Welt des Internets scheint der EU-Kommission deutlich zu schnell zu ticken: Ob Vista mit dem wieder fix eingebauten Mediaplayer nun erneut gegen Wettbewerbsrecht verstoßen oder ob das nun durch erweiterte Wahlmöglichkeiten in Ordnung ist, kann die EU-Kommission nicht sagen. Ob es in Ordnung ist, dass Apple bei einem Marktanteil von mehr als 70 Prozent bei Musik aus dem Internet die Songs weiterhin nur für die eigene Hardware freischaltet, kann in Brüssel auch niemand sagen. Alles viel zu früh, kommt schon noch.

Behäbige und etwas weltfremde Kommission

Der Vorwurf von Microsoft, dass die EU-Kommission hier sehr behäbig und etwas weltfremd Entwicklungen verschläft, ist nicht von der Hand zu weisen. Ebenso muss sich die Kommission die Frage gefallen lassen, ob die Zwangskur zu mehr Wettbewerb angemessen ist: Gemäß dem Motto von Kroes, demzufolge zuerst der Konsument und erst dann die Innovationen kommen, muss Microsoft auch streng gehütete Firmengeheimnisse an Konkurrenten weitergeben. Dass es damit dann möglich ist, Produkte auch zu "klonen", bestätigen auch unabhängige Experten.

Mit dem Urteil könnten also auch Nokia, Google und viele andere Unternehmen mit höheren Marktanteilen gezwungen werden, wichtige Teile ihrer Produktspezifikationen weiterzugeben. Das könnte vor allem für junge Unternehmen, die aufgrund einer guten Idee schnell wachsen, aber noch wenig Gewinn machen, gravierende Folgen haben: Finanzstarke Konkurrenten könnten sich so über Gerichtsbeschlüsse Zugang zu den Innovationen verschaffen und diese mit einer größeren Marketingmacht entsprechend ausnützen.

Dass die Kommission auch mit einigem Schaum vor dem Mund gegen Microsoft argumentiert, machte Neelie Kroes nach der Urteilsverkündung klar: Sie erwartet, dass Microsoft deutlich an Marktanteil verliere, sagte sie. Dies sei dann als Erfolg für die Kommission zu werten.

Damit hat sie ihre Kompetenzen weit überschritten und gezeigt, dass sich der Streit in ziemlich emotionale Höhen begeben hat. Die EU-Kommission hat funktionierenden Wettbewerb sicherzustellen. Wie sich dann die Marktanteile entwickeln, sollte sie beruhigt den Konsumenten und Unternehmen überlassen. (Michael Moravec/DER STANDARD, Printausgabe, 18.9.2007)