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Nach dem himmelwärts gewandten Papst-Rummel kann sich der metaphysisch interessierte Teil der Bevölkerung wieder voll und ganz der Höllenfahrt der Meinl-Aktie widmen. Ein Thema, spannend für viele, die an das unfehlbar Gute im Kapitalismus glauben, und in den Medien wird es entsprechend ausführlich zelebriert. Wieder einmal können Interessenten am Funktionieren unserer (feinen) Gesellschaft den diversen Erklärungsangeboten der Medien folgen und werden mit einem bunten Strauß, gebunden aus solchen, reichlich belohnt.

So erwähnt "profil" - um nur Beiträge aus den letzten Tagen anzuführen - Das Prinzip Gier. Bankier Julius Meinl V. scheffelte mit abenteuerlichen Bilanztricks Millionen - und die Finanzmarktaufsicht schaute ungerührt zu, kann man da ehrliches Bemühen erkennen, der Affäre auf den Grund zu kommen. Für 2006 gönnte sich die Familie Meinl 85 Millionen Dividende, was nicht so viel ist, wenn man bedenkt, dass die Familie ja aus mehreren Mitgliedern besteht und Leistungsträger ihr Geld Wert sein müssen.

Im "Kurier" spricht Reinhard Göweil von einem Verfall der Sitten sowie von der Lernunfähigkeit heimischer Institutionen: Finanzmarktaufsicht-Chef Heinrich Traumüller war früher Staatskommissär der Meinl-Bank, sein damaliger Chef Grasser ist nun wichtiger Mitarbeiter der Meinl-Gruppe - als ob die professionelle Nutzung knapper Ressourcen an Finanzgenies Anlass zu Misstrauen sein dürfte: Den Behörden scheint alles wurscht zu sein, und der Schein trügt nicht.

Für Michael Moravec im "Standard" ist, über die kleine österreichische Welt hinausweisend, die Zeit der grenzenlosen Finanzmarkt-Freiheit nun zu Ende. Denn sie wird zu teuer. Holdings in der Karibik und Niederlassungen in Jersey hat nicht nur der Meinl, und es sind immer neue und gewagtere Konstruktionen, die den Anlegern ans Herz gelegt werden. Das Risiko dahinter wird nicht mehr durchschaut, selbst wenn der Investor eine Bank ist und eigentlich dafür Spezialisten haben sollte.

Wie die Beispiele zeigen, fehlt es nicht an Erklärungsversuchen für die Debakel der letzten Zeit, aber wie schon dort, wo es um vermummte Frauen ausländischer Touristen ging, kommt nur Christian Ortner, diesmal dank Andreas Unterberger in der "Wiener Zeitung", der Sache auf den Grund. Auch er spricht von der Gier der Gedankenlosen, meint damit aber keineswegs Spekulanten, die das Risiko dahinter nicht mehr durchschauen, im Gegenteil: "In der Affäre Meinl trifft die geschädigten Anleger eine erhebliche Mit-Schuld". Was heißt Mitschuld? Tatsächlich sind sie praktisch allein schuld, denn keine Geldanlage - kein Skandal. Meinl könnte heute noch den besten Ruf haben, hätten ihm nicht bescheuerte Anleger ihr Geld anvertraut.

Ursache derartiger Kalamitäten ist im Grunde weder eine unzureichende Gesetzeslage noch eine Ineffizienz der beaufsichtigenden Behörden, straft Ortner die Analytiker der anderen Blätter Lügen, sondern vor allem eine Mischung aus Gier und Gedankenlosigkeit vieler Anleger; ein Cocktail, der nach dem Rendite-Rausch zwingend zu schwerem Kapitalverlust-Kater führt.

Wäre Ortner seiner journalistischen Verantwortung nicht erst post festum nachgekommen, sondern hätte gewarnt, als Meinl seinen Coup startete, hätte er nicht nur einen wertvollen Beitrag zum guten Ruf des heimischen Kapitalmarktes leisten können, sondern auch vielen geistig Minderbemittelten Geld gerettet. Dass das Haus Meinl, andere Banken, Anlageberater und Finanzmakler die MEL-Papiere mit Hilfe einer ziemlich grenzwertigen Marketing-Maschinerie offenbar auch Leuten angedreht haben, die schon von der Komplexität eines Eckzins-Sparbuches überfordert sind, mag man berechtigterweise wenig elegant finden, ganz schön schlitzohrig sozusagen.

Weniger elegant, ja fast ein wenig schlitzohrig erscheint es da, dass der einzige Journalist, der die ziemlich grenzwertige Marketing-Maschinerie so klar durchschaut, weil er anders als seine Kollegen von der Komplexität eines Eckzins-Sparbuches unterfordert ist, nicht schon früher einen Warnruf erschallen ließ. Dass sich der typische hiesige Sparer nach einer Veranlagung sehnt, die ihm 11 Prozent Zinsen pro Jahr bringt und dabei mündelsicher wie ein Sparbuch ist, kann man ja zur Not noch irgendwie nachvollziehen. Umso nützlicher wäre Ortners Leserservice ausgefallen, hätte er den Gierigen ihre Gedankenlosigkeit schon vorher vor Augen geführt, weiß er doch nicht erst seit dem letzten Wochenende: Das Problem ist bloß, dass ziemlich viele Leute - und nicht nur die intellektuell minderausgestatteten - ernsthaft glauben, es könne so etwas in der wirklichen Welt auch tatsächlich geben.

Gierig und gedankenlos - dafür kann Ortner kein Verständnis aufbringen. Für gierig allein, selbst in Verbindung mit ganz schön schlitzohrig, hat er eine Entschuldigung parat: Auch die herrlichen heimischen Winzer geben Riesling und Veltliner ohne Vorlage eines aktuellen Leberbefundes ab. Also Obacht, ihr Gedankenlosen: Beim nächsten Mal Anlegen fest an die Winzer denken! (Günter Traxler/DER STANDARD; Printausgabe, 18.9. 2007)