Zur Person
François Heisbourg (58), früherer Berater des französischen Außenministeriums, ist heute einer der führenden sicherheitspolitischen Experten. Er leitet derzeit u. a. das Internationale Institut für strategische Studien in London (IISS).

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Standard: Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner warnt offen vor einem "Krieg" mit dem Iran. Welchen Zweck verfolgt Paris damit?

Heisbourg: Einen doppelten. Die Botschaft richtet sich natürlich an Teheran, wo ein Flügel der Staatsführung nicht glauben will, dass ein wirkliches Risiko für einen bewaffneten Konflikt besteht. Diese Leute meinen irrtümlicherweise, die USA seien im Irak zu beschäftigt und Israel als bloßer Satellit Washingtons wage keinen Alleingang.

Daneben wendet sich Paris aber auch an die russische Adresse. Kouchner versucht diese Woche in Moskau, Putin von der Notwendigkeit neuer UNO-Sanktionen gegen Teheran zu überzeugen, Sarkozy wird Anfang Oktober folgen. Ihre Botschaft lautet: Wenn ihr Russen wollt, dass die Iran-Affäre weiterhin im Sicherheitsrat entschieden wird, müsst ihr schon euer Scherflein dazu beitragen, statt immer nur zu blockieren. Denn bei der Geschwindigkeit, mit der die Iraner die Dinge vorantreiben, kann die Welt schon in einem halben oder ganzen Jahr vor jener "katastrophalen Alternative" stehen, von der Sarkozy sprach.

Standard: Teheran hat auf den französischen Vorstoß kritisch reagiert, während Israel applaudiert. Unter dem früheren Präsidenten Chirac war das jeweils umgekehrt gewesen.

Heisbourg: Was sich in Paris geändert hat, ist vor allem Sarkozys entspannterer Umgang mit allen Parteien im Nahen und Mittleren Osten. Er hat kein Problem damit, auch Israel als "Freund" zu bezeichnen, was Chirac wahrscheinlich nicht gemacht hätte.

Gleichzeitig wahrt Sarkozy ausgezeichnete Beziehungen zu den arabischen Partnern. Frankreich erreicht damit, weder von der einen noch von der anderen Seite vereinnahmt zu werden. Was den Iran und die Grundsatzfrage der Urananreicherung betrifft, hat Sarkozy keine andere Sicht als Chirac.

Standard: Frankreich leistete nicht erst seit dem Irakkrieg Widerstand gegen die US-Politik im Nahen und Mittleren Osten. Ist damit unter Sarkozy Schluss?

Heisbourg: Welche US-Politik? Ich habe wie die meisten Franzosen Mühe zu sehen, woraus diese Politik im Nahen und Mittleren Osten überhaupt besteht. Nehmen Sie Israel-Palästina: Während die Europäer sagen, was sie wollen, weiß man das von den Amerikanern nicht. In Bezug auf den Iran gibt es in Washington sehr unterschiedliche Ansichten – neben den Hardlinern sind die Minister Rice und Gates beide bemüht, die Rückwirkungen auf die Lage im Irak nicht zu verschlimmern. Kurz: Wie kann Frankreich auf eine US-Linie einschwenken, die sich gar nicht definieren lässt?

Vielleicht sollte man Sarkozys Verhalten nicht nur unter dem Blickwinkel betrachten, ob er für oder gegen die USA ist.

Standard: Die meisten EU-Partner – auch Deutschland – haben reserviert bis ablehnend auf Kouchners Vorstoß reagiert. Ist in der Achse Paris-Berlin der Wurm drin?

Heisbourg: Natürlich haben Merkel und Sarkozy nicht die gleiche Körpersprache, natürlich wollen die Franzosen einen schwachen Euro, die Deutschen einen starken. Aber man darf auch nicht übertreiben. Zu Beginn von Chiracs Amtszeit 1995 ging es dem deutsch-französischen Paar noch schlechter. Die Beziehung beginnt bei jedem Wechsel im Elysée mit einem gewissen Misstrauen, bis man merkt, wie weit die gemeinsamen Interessen gehen. (Stefan Brändle aus Paris/DER STANDARD, Printausgabe, 19.9.2007)