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EU-Kommissar Andris Piebalgs im Lichte einer Werbeaktion aus den Pioniertagen der Stromerzeugung ("Elektrische Kraftvermiethung": Plakat aus dem Jahr 1899).

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EAG-Chef Leo Wildtner sieht im jüngsten, primär gegen Europas "Energieriesen" gerichteten "Liberalisierungspaket" der EU-Kommission einen Anschlag auf die Versorgungsicherheit der Verbraucher - und auf die Idee des freien Binnenmarkts.

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Die EU-Kommission legte gestern ihre Pläne für eine Neuordnung des europäischen Energiemarkts vor, die - unter dem Deckmäntelchen der Liberalisierung - eine Zerschlagung vieler europäischer Elektrizitätsunternehmen nach sich ziehen könnten.

Tatsächlich handelt es sich dabei um eine massive Re-Regulierung, die dem Gedanken eines freien Binnenmarktes wohl so gar nicht entspricht. Und ob damit einer sicheren europäischen Stromversorgung oder gar den Stromkunden tatsächlich ein Dienst erwiesen wird, darf bezweifelt werden.

Zu den Brüsseler Vorschlägen und Absichten im Detail: Energie-Kommissar Andris Piebalgs klagt über fehlenden Wettbewerb und mangelnde Investitionen im Elektrizitätsmarkt und droht den seiner Meinung nach Schuldigen - den integrierten Energieversorgern - mit der Brechstange: Ownership Unbundling, also Zwangsenteignung, oder Abtretung der Übertragungsnetze an unabhängige Netzbetreiber (ISO).

Die Mitgliedsstaaten haben die Qual der Wahl: Entweder sollen die betroffenen Elektrizitätsunternehmer ihre Netzgesellschaften verkaufen, oder unabhängige Netzbetreiber sollen für einen freien Strommarkt sorgen. Und das Ganze soll noch abgerundet werden durch die Errichtung einer "Agentur der Europäischen Regulierungsbehörden", einer Art Superregulator mit umfassenden Durchgriffsrechten in praktisch alle Bereiche der nationalen und europäischen E-Wirtschaft.

Die Argumentation der Kommission geht in folgende Richtung: Die bisherigen Liberalisierungsschritte im Strommarkt bringen nichts, die weitreichenden Umwälzungen der letzten Jahre waren völlig umsonst, und die integrierten Elektrizitätsunternehmen besitzen eine sagenhafte Marktmacht. So verhindern diese jeden Wettbewerb, können ihre Kunden mit überhöhten Preisen zwangsbeglücken und jeden Mitbewerb verhindern. Daher müssen die schwersten Geschütze aufgefahren werden - also Ownership Unbundling oder unabhängige Netzbetreiber.

Aber cui bono? Die Sparten Erzeugung, Handel und Vertrieb sowie Netz agieren ja schon heute getrennt von einander auf dem Markt.

Alles in einen Topf

Die Regelung würde europaweit alle jene Konzerne treffen, die in den Bereichen Erzeugung, Handel und Vertrieb sowie der Verteilung von Strom mit Übertragungsnetzen tätig sind. Und zwar unabhängig davon, ob sie marktkonform agieren oder nicht. Dabei können Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht heute schon geahndet werden: Dafür gibt es für alle Wirtschaftszweige Marktregeln wie etwa das Kartellrecht. Und mit den vorangegangenen Liberalisierungspaketen wurde bereits seit 2001 die vollständige Liberalisierung der europäischen Strommärkte sukzessive vorangetrieben und ein Regelwerk installiert, das einen freien Wettbewerb in Europa sicherstellt.

Die österreichische E-Wirtschaft ist Vorreiter in der Liberalisierung des Strommarkts. Hier wurden alle bisherigen Deregulierungsschritte aktiv mitgetragen und vielfach frühzeitig umgesetzt. Die Umwandlung eines von monopolhaften Strukturen geprägten Wirtschaftszweiges in einen Wettbewerbsmarkt ist zügig gelungen, ohne den Kernauftrag, Versorgungssicherheit bei akzeptablen Preisen, zu gefährden.

Österreich hat auch bereits mit Jänner 2006 die gesellschaftsrechtliche Entflechtung (Legal Unbundling) erfolgreich umgesetzt - also eineinhalb Jahre vor dem vorgeschriebenen Pflichttermin. Der freie Zugang zu den Netzen ist für Energielieferanten seit 2001 realisiert, wodurch jedem Kunden ermöglicht wird, seinen Energielieferanten frei zu wählen.

Nicht frei wählen können Stromverbraucher allerdings, über welches Netz sie den Strom beziehen. Genauso wenig wie Autofahrer wählen können, auf welcher Autobahn sie von Wien nach Salzburg fahren. Aber die Maut wird behördlich festgelegt. Für diese Aufgabe hat der Gesetzgeber einen starken Regulator eingesetzt, der die Netzgebühren prüft und festlegt. Und im Gegensatz zum "Autobahnpickerl" werden diese "Mautgebühren" im Stromnetz keineswegs Jahr für Jahr in die Höhe geschraubt.

Im Gegenteil: Die zuständige österreichische E-Control hat mit ihren Tarifsenkungen für alle Netzbetreiber - seit 2001 immerhin um insgesamt 25 Prozent - immer wieder bewiesen, dass sie kein Papiertiger ist.

Kurz, der österreichische Strommarkt ist geprägt von einem freien Wettbewerb bei den Energielieferanten, einem starken Regulator mit Durchgriffsrechten und einem diskriminierungsfreien Netzzugang für alle Marktteilnehmer.

Planungssicherheit...

Die EU-Kommission hat natürlich nicht nur Österreich - das definitiv nicht das Sorgenkind der EU ist - im Auge. Energiesicherheit ist ja auch keine rein nationalstaatliche Herausforderung.

Ziel ist ein europäischer Strombinnenmarkt - und dieser funktioniert noch nicht wirklich friktionsfrei. Ein europäischer Elektrizitätsbinnenmarkt ist zwar im Entstehen, der grenzüberschreitende Stromhandel müsste aber durchaus noch weiter gestärkt werden.

Derzeit spießt es sich dabei vor allem an den Netzkapazitäten. Denn ohne ausreichende Transportkapazitäten kann es keinen freien europäischen Strommarkt geben. Die Leitungsverbindungen zwischen den Staaten müssen daher verbessert werden, damit ein freier Stromaustausch auch physikalisch möglich wird. Netzausbau ist aber teuer - und jeder halbwegs rational agierende Unternehmer wird sich hüten, die notwendigen Milliarden in die Hand zu nehmen, wenn er fürchten muss, demnächst von einer Superbürokratie eingeschnürt oder sogar zwangsenteignet zu werden. Und dass wichtige Haftungsfragen bei Entscheidungen rund um die Agentur der Europäischen Regulierungsbehörden keineswegs geklärt sind, sollte zusätzlich aufhorchen lassen.

... statt Demontage

Für mich ist nicht erkennbar, wie das neue Energiepaket zu erhöhten Investitionen in überregionale Netze und auch in den Kraftwerkspark führen soll. Dafür sind ganz andere Schritte notwendig, die allesamt zum Ziel haben müssen, investitionsfreundlichere Rahmenbedingungen zu schaffen. Die österreichische

E-Wirtschaft plant in den nächsten Jahren 11,5 Milliarden Euro in die Elektrizitätsinfrastruktur zu investieren.

Das ist dringend erforderlich, um unsere hohe Versorgungssicherheit angesichts des nach wie vor steigenden Stromverbrauches auch zu erhalten. Kraftwerke müssen modernisiert oder neu errichtet und die Netzinfrastruktur unbedingt gestärkt werden. Aber Rechtsunsicherheit und teils jahrzehntelange Genehmigungsverfahren sind die Haupthindernisse für die Umsetzung notwendiger Investitionsprogramme.

Hier ist wirklich die europäische wie die nationale Politik gefordert. Aber nicht, um funktionierende und bewährte Strukturen radikal zu zerschlagen und in das System der Regulierung zurück zu fallen, sondern um für einen zentralen Wirtschaftszweig Voraussetzungen zu schaffen, die jeder florierende Markt braucht: Stabile Rahmenbedingungen! (Leo Windtner, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.09.2007)