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Bei dem Anschlag kamen sieben Menschen ums Leben.

Foto AP/ Mahmoud Tawil

Ex-Minister Fneish ortet Bruch der Verfassung.

Foto: Szigetvari
Kommenden Dienstag soll das libanesische Parlament einen neuen Präsidenten wählen. Ein Abgeordnetenmord entzweit die politische Elite weiter. András Szigetvari sah sich in Beirut um.

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Die gigantische Explosion muss genau hier gewesen sein. Im Zentrum Beiruts, unweit des schicken Jachthafens, wo sich einst die Touristen tummelten, erinnern die eingestürzten Stockwerke der Gebäude und die abbröckelnden Häuserfassaden an den Anschlag im Februar 2005. Genau als die Wagenkolonne des Ex-Premiers Rafik Hariri am St. George Hotel vorbei fuhr, zündeten seine Mörder die Bombe. Hariri und 21 weitere Menschen starben. Heute dienen die Schauplätze der politischen Attentate als Orientierungshilfe für Fremde in Beirut. Seit dem Tod Hariris wurden fünf antisyrische Politiker ermordet. Mit dem Tod von Antoine Ghanem bei einem Bombenanschlag am Mittwoch ist die Liste dieser "Wahrzeichen" wieder länger geworden.

Sechs Tage vor Beginn der Präsidentenwahlen im Parlament gibt es im Libanon kaum einen Politiker, der das Wort Bürgerkrieg nicht in den Mund nehmen würde. Die Spekulationen über die Drahtzieher der Attentate wuchern. Waren es die Syrer? Die Al-Kaida? Die Fronten verlaufen quer durch die konfessionellen Linien der politischen Elite. Vordergründig sind es die Modalitäten der Präsidentenwahl, die die Lager entzweien (siehe Grafik). Aber es geht um weit mehr. Um den künftigen Einfluss der USA, der Syrer und der Iraner im Land. Darum, wer das Vakuum, das die Syrer mit ihrem Abzug hinterlassen haben, auffüllen kann. Und um die Machtverteilung zwischen den Volksgruppen und Konfessionen.

"Im Libanon beginnen die Probleme immer dann, wenn eine Partei versucht, zu viel Macht an sich zu reißen", sagt der schmächtige Mohammed Fneish. Der Hisbollah-Politiker und Ex-Energieminister sitzt in seinem gut bewachten Parlamentsbüro in der Beiruter Innenstadt. Sein Zimmer ziert nur ein Bild vom Jerusalemer Tempelberg. Er ist so karg wie die Beiruter Innenstadt, wo Stacheldraht und Wachposten die Besucher abschrecken. Im November 2006 trat Fneish mit vier weiteren schiitischen Ministern aus der Regierung aus. Die Hisbollah bildet heute mit Amal und der christlichen Freien Patriotische Bewegung Michel Aouns die Opposition. Ihr gegenüber steht der regierende Block der Zukunft unter Führung von Saad Hariri. Die Regierung habe zu viele Posten angehäuft, sagt Fneish. Auch deswegen habe die Hisbollah die Regierung verlassen. Zudem habe sich Hariri zu sehr an die USA angenähert und auch die lauter werdenden Rufe nach der Entwaffnung der Hisbollah verärgern ihn.

Aber im Moment erzürnt Fneish die anstehende Präsidentenwahl am meisten. "Die Regierung will die Verfassung brechen", sagt er. In dem Streit geht es darum, wie viele Abgeordneten beim ersten Wahldurchgang anwesend sein müssen. Zwei Drittel, sagt die Hisbollah, womit ohne die Opposition kein Präsident gekürt werden kann. Die Mehrheit genügt, sagt dagegen die Regierung.

So oder so, der Ex-Bürgerkriegsgeneral Michael Aoun müsse der neue Staatschef werden, sagt Simon Abi Ramia, einer der engsten Berater Aouns. Nach dem Abzug der Syrer kehrte Aoun, der Damaskus einst bekämpfte, aus dem französischen Exil zurück. Aouns Freie Patriotische Partei bildet heute ausgerechnet mit der Hisbollah, die auch seine Präsidentschaftskandidatur unterstützt, den Kern der Opposition. Es ist eine europäische Vision von Staatlichkeit, mit der Aoun punkten will. Schluss mit der Vererbung politischer Posten, Schluss mit dem politischen Feudalismus, sagt sein Berater Ramia. Und er warnt vor einer Irakisierung des Libanon. Waffen gebe es genug, bei der Hisbollah, der Armee oder den zahlreichen konfessionellen privaten Sicherheitsfirmen.

Ohne Entwaffnung der Hisbollah könne der Libanon nie stabil werden, sagt Eddy Abillama von der Regierungspartei Lebanese Forces. Während Christen und Sunniten die Unabhängigkeit des Landes forderten, würde die Hisbollah die Nähe zum Iran und Syrien suchen. Das Problem sei, dass die Hisbollah nur mit ihrer Zustimmung entwaffnet werden könne. Abdillama ist einer der wenigen, die nicht vor einem Bürgerkrieg warnen. Auch Fneish von der Hisbollah sagt, dass die "Tür für eine friedliche Lösung noch offen ist". Wenn sie nur nicht zufällt. (DER STANDARD, Printausgabe, 21.9.2007)