Nicht erst seit heute befindet sich der, der sich in die Diskussion über Islam und Terror einmischt, auf vermintem Gelände. Dies ist zum einen das Resultat jener nicht nur realen, sondern auch symbolischen Sprengladungen, den die spezifisch arabischen Heroen eines ursprünglich europäischen Terrorismus gezündet haben, zum anderen aber auch der Aufladungen des Diskussionsklimas durch - wie ich meine - oft nur vorgebliche Verteidiger einer offene und freien Gesellschaft. Ich habe jedenfalls noch nie zuvor so viele selbsternannte Religions- und Islamspezialisten erlebt, die uns mit großer Verve darüber belehren, dass zwischen den Lehren des Propheten und jenen Phantasien und Aktionen arabischer Rechtsradikaler ein nahtloser Zusammenhang besteht.

Mittlerweile hat somit auch Österreich, verspätet, aber doch, jene medial verstärkte Form von Hysterie erreicht, die ihren Ausgang nach dem 11. September in den Vereinigten Staaten nahm und seither epidemisch und systemisch geworden ist. Was in New York eine Tragödie war, gerät hier, durch ORF und "Krone" medial formatiert, zur Nestroy'schen Farce. Es scheint kaum mehr möglich, im Glaubensstreit "Dialog" versus "Kampf" der Kulturen so unaufgeregt und abwägend zu agieren, wie dies einer Zivilgesellschaft angemessen wäre.

Es ist leicht, den prinzipiellen Respekt für andere Kulturen als Relativismus zu denunzieren, und dieser findet in der Tat seine Grenze, wo es darum geht, den Dialog als offenes Prinzip verbindlich zu machen. Denn eines ist klar: mit Menschen, die die Gewalt als die einzige angemessene symbolische Antwort auf die westliche Hegemonie ansehen, lässt sich kein Dialog der Kulturen oder Religionen führen. Umgekehrt haben wir in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, dass alle Versuche, die westlichen Werte vermeintlich offensiv zu verteidigen, die merkwürdige negative Dialektik in sich bergen, diese Werte unter sich zu begraben. Die aufklärerische Anklage gegen den unaufgeklärten Islam legitimiert nämlich nicht bloß eine latente Xenophobie, sondern rechtfertigt zugleich einen Sicherheitswahn, der Schritt für Schritt zur Auszehrung des Rechtsstaats führt. Der Kampf für unsere Werte trägt die fatale Tendenz in sich, alle Bürger muslimischer Herkunft als Menschen zweiter Klasse zu behandeln und zugleich Bürgerrrechte einzuschränken. Fast hat es den Anschein, als ob der Islam als Sündenbock all jenen zupass kommt, die sich wie die islamischen Fundamentalisten davor fürchten, in einer modernen Gesellschaft zu leben und den Preis für die Freiheit zu bezahlen, die sie uns beschert.

Sowohl die Formel vom Dialog der Kulturen wie jene vom Kampf der Kulturen ist in einem entscheidenden Punkt irreführend. Das Regime der iranischen Mullahs zum Beispiel hat kein historisches Beispiel und keine traditionelle Verankerung, es ist wie auch genuin europäische Gegenbewegungen aus dem Unbehagen in und an der Moderne geboren. Der Islam ist dabei nur ein naheliegendes symbolisches Instrumentarium. Was global geworden ist, das ist das, was ich als das Drama der Moderne bezeichnen möchte: das Abenteuer der Freiheit, die Gleichheit der Geschlechter, die Überwindung traditioneller persönlicher Herrschaftsverhältnisse, die Möglichkeit des Selbstdenkens. Was die Moderne hervorbringt, sind, gestern wie heute, Gegenbewegungen.

Ich fürchte mich vor dem Dunstkreis von Herrn Strache (immerhin 15 Prozent der nicht-islamischen österreichischen Wähler), und anderen, die offen oder verstohlen zum Kreuzzug gegen den Islam aufrufen, mindestens ebenso wie vor ihren strukturellen, rechtsradikalen "Freunden" im Lager eines muslimisch gefärbten Fundamentalismus. Dem ziemlich unwahrscheinlichen weltweiten Triumph eines islamischen Totalitarismus steht die weitaus größere Gefahr einer schleichenden Aushöhlung des Rechtsstaates gegenüber. Der Islam als Sündenbock überdeckt diese Gefahr: denn scheinbar betrifft die Einschränkung von Freiheit ja nur die Anderen, nicht uns selbst.

Erstaunlich muss zudem anmuten, dass die 400.000 österreichischen Bürger muslimischer Herkunft allesamt als religiöse Menschen kategorisiert werden. Ihre einzigen Vertreter scheinen die Repräsentanten einer Religionsgemeinschaft zu sein. Jene Menschen aus dem Iran, aus Bosnien, der Türkei oder Syrien, die aufgeklärt religiös und agnostisch sind, haben im Dialog der Religionen, den die Bundesregierung organisiert, keine Stimme. Was wir ihnen anbieten müssen, ist nicht so sehr eine Vertretung mehr oder minder wohlmeinender frommer Muslime, die dauernd beteuern müssen, dass sie keine (geistigen) Terroristen sind, sondern eine politische Repräsentanz in den Medien und in der politischen Öffentlichkeit. Anstatt uns über das Kopftuch zu erregen, sollten wir jenen Frauen einen sozialen und symbolischen Raum geben, die es nicht tragen - und umgekehrt alle Gegner der Zivilgesellschaft gleich behandeln: entschieden und gelassen.

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Wolfgang Müller-Funk, Germanist und Kulturwissenschafter, lehrt an den Universitäten Wien und Zagreb. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.9.2007)