Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: APA/Schneider
Massengräber mitten in der Stadt und Knochen in Beinhäusern gestapelt: Geradezu abenteuerlich kommen uns heute die Bestattungsmethoden vergangener Zeiten vor. Roswitha Kerschners Diplomarbeit zeigt, dass unsere gegenwärtigen Usancen noch gar nicht so lange etabliert sind. So sind individuelle Gräber oder Familiengräber erst seit dem späten 19. Jahrhundert üblich.

Mitten im Leben

Die Friedhöfe des Mittelalters waren keineswegs Orte der Besinnung und der Ruhe, sondern Markt- und Gerichtsplätze. Erstrebenswert war es, möglichst nahe einer Kirche begraben zu werden, am besten überhaupt innerhalb des Gebäudes. Durch die zentrale Lage von Kirche und Friedhof waren die Verstorbenen auch örtlich weiterhin unter den Lebenden präsent. Ausnahmen gab es in Zeiten großer Epidemien, die ein Bestatten der zahlreichen Leichen außerhalb der Stadt nötig machten. Das Wachstum der Städte in der Neuzeit ließ das enge Nebeneinander von Lebenden und Toten zu einem hygienischen Problem werden. In Wien ordnete Joseph II. im Jahr 1784 an, die letzten Friedhöfe innerhalb des Linienwalls zu schließen. Fast ein Jahrhundert später wurde dann der Zentralfriedhof zur letzten Adresse für die allermeisten Wienerinnen und Wiener.

Gute alte Zeit

Viel Raum gibt Kerschner der Beschreibung der Lebens- und Todesumstände in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die extremen sozialen Gegensätze der Gründerzeit prägten auch das Lebensende. Besonders für die Armen war der Tod allgegenwärtig. Durch die hohe Kindersterblichkeit war es nichts Außergewöhnliches, dass Eltern ihren Nachwuchs bereits vor dessen erstem Geburtstag verloren. Hauptgründe waren die katastrophalen hygienischen Bedingungen und die schlechte Versorgung der Schwangeren mit Lebensmitteln. Durch die langen Arbeitszeiten und mangels Mutterschutz wurde es für die Mütter auch schwierig ihre Kinder zu stillen, was zur Unterernährung der Säuglinge führte.

Doch auch auf die jungen Erwachsenen lauerten ständig Gefahren. Durch den chronischen Mangel an erschwinglichem Wohnraum lebten die Menschen äußerst beengt. Für Infektionskrankheiten waren dies ideale Verbreitungsmöglichkeiten. Am häufigsten kamen Cholera, Blattern, TBC und Typhus vor, und deren Verlauf endete meist tödlich.

Die schöne Leich

Die sozialen Unterschiede waren auch nach dem Tod augenscheinlich. Für das aufstrebende Bürgertum war der letzte Weg zugleich die letzte Möglichkeit, den erreichten Wohlstand zu zeigen. Für eine "schöne Leich", wie ein aufwändiges Begräbnis volkstümlich genannt wurde, wurden immense Summen ausgegeben. Selbst weniger Wohlhabende sparten auf ein solches Begräbnis hin. Im Gegensatz zu heute war der Leichenkondukt durch die Stadt ein öffentliches Spektakel, für das mit Plakaten geworben wurde. Die nachträglichen "15 minutes of fame", die dem einfachen Bürger im Leben nicht vergönnt waren.

Tabuthema

So wurden Begräbnisse im 19. Jahrhundert zu Statussymbolen, wohingegen sie im 20. Jahrhundert nicht mehr in den Lifestyle-Magazinen vorkommen. Was aber ebenfalls zurückgedrängt wurde, war der kommerzielle Aspekt und der pietätlose Wettbewerb der anfangs privaten Bestattungsunternehmen.

Die Diplomarbeit zeichnet ein für den Laien oder die Laiin verständliches Bild vom Wandel der Todeswahrnehmung in Wien. Die kulturelle Rezeption des Sterbens fließt anhand des Wienerliedes in die Betrachtung ein. Das in diesem besungene Alt-Wien verliert durch die Beschreibung der sozialen Wirklichkeit allerdings erheblich an Charme. Durch einige historische Kuriositäten wie der Idee, die Leichen per Rohrpost auf den Zentralfriedhof zu befördern, bekommt die Arbeit aber auch einen gewissen Unterhaltungswert. Nicht zuletzt ist die Lektüre eine Gelegenheit, sich mit einem mittlerweile tabuisierten Thema zu beschäftigen.

Die Arbeit "Der Umgang mit dem Sterben und dem Tod in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Wien" (Roswitha Kerschner, 2005) ist im Volltext nachzulesen.