Karl Korinek hat Recht. Nicht unbedingt mit dem Vergleich, in Österreich fühle er sich manchmal ähnlich stark überwacht wie seinerzeit die DDR-Bürger durch die Stasi. Aber mit seiner vagen Ahnung, dass sich die westlichen Demokratien peu à peu von Grundrechten, die in den vergangenen 200 Jahren erkämpft worden sind, verabschieden.

Das Stasi-Bild hinkt, weil das Ministerium für Staatssicherheit ja nicht nur auf Gesetze pfeifen konnte, wenn es der vermeintliche Kampf gegen "imperialistische Aggression" und "faschistische Konterrevolutionäre" erforderte. Was das System, genauso wie in faschistischen Staaten oder unter dem Nazi-Regime, so unerträglich machte, war ja die ständig präsente Angst, vor falschen Ohren etwas zu murmeln, das als Hochverrat ausgelegt werden könnte. Eine Angst, die von totalitären Staaten stets geschürt wird.

So weit ist es in Österreich, Deutschland oder den USA dann doch noch nicht. Auch wenn es Parallelen gibt: Statt Imperialisten und Faschisten sind es jetzt eben die Terroristen und sonstige Kriminelle, gegen die man vorgehen muss. Und die es notwendig machen, Polizei, Geheimdiensten und sonstigen Sicherheitskräften Kompetenzen und technische Möglichkeiten zu geben, sobald sie danach verlangen.

Wer glaubt, nur in den USA würden diese exekutiven Wünsche erfüllt und zumindest im "alten Europa" herrsche ein vernünftiger Umgang mit den Grundrechten, täuscht sich. Wenn überhaupt, werden Rückzugsgefechte geführt. In den meisten Fällen gibt es aber schon gar keine Diskussionen mehr, die stückweise Eingrenzung der persönlichen Freiheiten wird von Politikern schlicht abgenickt.

Beispiele gibt es genügend. Die Schutzzonenregelung: Die Polizei kann Menschen aus bestimmten Gebieten verweisen, ohne dass diese irgendetwas Illegales getan hätten. Es reicht, dass der Beamte glaubt, sein Gegenüber könnte etwas im Schilde führen. "Belehrung" von Fußballrowdies: Die Polizei kann Menschen, die ihre gerichtliche Strafe schon verbüßt haben, zu sich auf die Inspektion bitten - und dort behalten, bis die Polizei der Meinung ist, die Gefahr sei gebannt. Nun die Debatte um die Online-Fahndung: Mit richterlicher Erlaubnis soll die Polizei nicht mehr nur mithören dürfen - sondern auch unbemerkt nachschauen, was für Daten sich so auf der Festplatte eines Verdächtigen tummeln.

Bereits vor Wochen hat Korinek angedeutet, dass ihm die Grenzen beim Datenschutz zu unscharf sind: Mit der Entscheidung der Höchstrichter, die Section Control auf den Straßen zu kippen. Jetzt hat er ein Schäuferl nachgelegt und damit die Debatte dankenswerterweise von den üblichen Verdächtigen weggeholt.

Wenigstens einer aus der Führungsspitze des Staates ist also nicht der Meinung, dass für den Staat alle Mittel durch den kriminalitätsbekämpfenden Zweck geheiligt sind. Wiewohl dabei nicht übersehen werden darf, dass Korinek den Bürgern gleichzeitig das Recht auf Sicherheit zugesteht, aber eben nicht um jeden Preis.

Ein Aspekt, der in der ganzen Diskussion gerne übersehen wird: Dieses Recht auf Sicherheit kann der Staat seinen Bürgern in immer geringerem Ausmaß garantieren. Nicht die Sicherheit, vor Kriminellen geschützt zu werden: Alle Gesetzesänderungen der vergangenen Jahre haben neue Einbruchsrekorde nicht verhindern können.

Auch nicht die ökonomische Sicherheit: Bröckelnde Sozialsysteme; auf der Globalisierungswelle surfende Manager, die sich von staatlichen Appellen, doch bitte die Fabriken im Land zu lassen, nicht irritieren lassen; die ständig weiter aufgehende Einkommensschere. Alles Punkte, bei denen der Staat nichts mehr machen kann oder will.

Dieser Verlust an Sicherheit ist der Preis der Freiheit, den man 18 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer zahlen muss. Nur: Ein wenig mehr Bedachtnahme auf Grundrechte und Grundbedürfnisse darf wohl nicht nur Karl Korinek fordern. (DER STANDARD, Printausgabe, 24.9.2007)