Computersimulation des Antikörpers Bevacizumab: Im Bild der Tumor mit seinen Blutgefäßen. Der Antikörper (türkise Propeller) bindet an Wachstumsfaktoren (Bänder), die der Tumor bildet, und verhindert damit die Bildung neuer Blutgefäße.

Foto: MEDSTANDARD/Roche
Für krebskranke Menschen zählt Zeit. Für Lungenkrebskranke ganz besonders, denn der bösartige Tumor in der Lunge, dem jährlich weltweit mehr als 1,3 Millionen Menschen zum Opfer fallen, zeigt sich oft erst, wenn es keine Chance mehr auf Heilung gibt. "Hat das so genannte nicht-kleinzellige Lungenkarzinom eine Dimension erreicht, in der Operation und Strahlentherapie nicht mehr möglich sind, dann bleiben neuerdings für die Erstbehandlung eine Kombination aus Zytostatika und monoklonalen Antikörpern", berichtet Christian Manegold, Facharzt für Onkologie am interdisziplinären Tumorzentrum in Mannheim.

Hoffnungsträger in der Therapie

Monoklonale Antikörper sind im Moment die großen Hoffnungsträger in der Therapie fortgeschrittener bösartiger Tumore. Sie entfalten ihre Wirkung, indem sie zielgerichtet in den Stoffwechsel entarteter Zellen eingreifen. Avastin ist so ein monokonaler Antikörper. Das Krebsmedikament, dessen Wirkstoff Bevacizumab heißt, wurde von dem Basler Pharmakonzern Roche entwickelt.

Verzögert den Krankheitsverlauf

Es zögert den Krankheitsprozess entscheidend hinaus. "Bevacizumab verhindert im Tumor die Bildung neuer Blutgefäße", erklärt Manegold den entscheidenden Wirkmechanismus des Medikaments. Mangolds anschaulicher Vergleich: Der Tumor würde quasi ausgehungert werden. Kurzfristig gelingt das auch, denn ohne Sauerstoff und Nährstoffe, die der Tumor über das Blut erhält, ist er außerstande, sich auszubreiten.

2006 wurde in der amerikanischen Studie ECOG-4599 gezeigt, dass Bevacizumab, in Kombination mit Chemotherapien verabreicht, die Überlebenszeit von Patienten mit fortgeschrittenem nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom um durchschnittlich zwei Monate verlängert.

Studienergebnisse

Manegold präsentiert auf der ECCO neue Ergebnisse einer europäischen Phase-III-Studie (AVAiL=Avastin in Lung), die ebenfalls die Vorteile des monoklonalen Antikörpers beweist. Numerisch betrachtet sind zwei Monate Lebensverlängerung ein ziemlich kleiner Zeitraum, ausgehend von der schlechten Prognose des Lungenkarzinoms jedoch ein großer Erfolg. Die Grenzen von Avastin sind auch Manegold, der selbst Prüfarzt der AVAiL-Studie war, durchaus bekannt.

Mehr Lebensqualität

Trotzdem will der Onkologe die neue Kombinationstherapie nicht ausschließlich auf den lebensverlängernden Effekt reduzieren: "Die Patienten gewinnen nicht nur Zeit, sondern auch mehr Lebensqualität. Vor allem aber leiden sie weniger unter Tumorsymptomen, wie Schmerzen, Husten oder Atemnot."

Doch Avastin wird längst nicht nur beim nicht-kleinzelligen Lungenkrebs eingesetzt, denn das Wirkprinzip der Angiogenese-Hemmung, also das Verhindern des Blutgefäßwachstums innerhalb von Tumoren, wird auch bei anderen Krebsformen erfolgreich angewendet. Für Brust- und Darmkrebs ist Avastin europaweit zugelassen, für die Behandlung fortgeschrittener Nierenzellkarzinome ist der Antrag auf Zulassung eingereicht. Klinisch geprüft wird derzeit die Wirksamkeit von Bevacizumab in der Behandlung von Bauchspeicheldrüsen-, Magen- und Prostatakrebs.

Altersbedingte Makuladegeneration

Eine Erkrankung, die nichts mit Krebs zu tun hat, aber ebenfalls mit einer unerwünschten Blutgefäßbildung einhergeht, ist die feuchte, altersbedingte Makuladegeneration im Auge. Avastin hat auch bei dieser Erkrankung, die langfristig zur Erblindung führt, seine Wirksamkeit unter Beweis gestellt.

Sehkraft erhalten

Der amerikanische Netzhautspezialist Philipp J. Rosenfeld injizierte 2004 erstmalig die Substanz direkt in den Glaskörper des Auges und konnte so bis heute vielen seiner Patienten ihre Sehkraft erhalten. Die Zulassung für diese Indikation gibt es jedoch zurzeit weder in den USA noch in Europa.

Neben Avastin hat Roche als Weltmarktführer auf dem Gebiet der Krebsmedikation noch einen weiteren monoklonalen Antikörper entwickelt. Mit Tarceva, so der Handelsname des Medikamentes auf Basis des Wirkstoffes Erlotinib, erhöht sich für Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkrebs die Gesamtüberlebenszeit ebenfalls.

Angriffsziel Wachstumsfaktoren

Angriffsziel von Tarceva sind allerdings nicht die Tumorblutgefäße, sondern Wachstumsfaktoren, die auch an der Progression der Krebserkrankung beteiligt sind. In Europa ist Tarceva bei fortgeschrittenem Lungenkrebs bereits seit 2005 etabliert. Nach jahrelangem therapeutischem Stillstand bringt das Medikament seit heuer vielleicht auch beim metastasierten Bauchspeicheldrüsenkrebs eine Wende.

Wirkstoff-Mix

"Die Zukunft der medikamentösen Krebstherapie liegt in Substanzen, die sich nicht mehr ausschließlich gegen ein Ziel richten, sondern die mehrere Tumorfaktoren gleichzeitig beeinträchtigen", ergänzt Manegold optimistisch. Große Hoffnung setzt der Mannheimer Experte auch in ein neues Zytostatikum, das andere Chemotherapeutika zu übertreffen scheint.

Hemmt die Tumorzellteilung

Alimta, entwickelt vom Pharmakonzern Eli Lilly, hemmt die Tumorzellteilung, indem es direkt in die DNA-Synthese eingreift. Die Ergebnisse einer randomisierten Phase-III-Studie mit Alimta präsentiert Manegold ebenfalls in Barcelona und hofft mit einer Kombination aus Alimta und Avastin neue Wege in der Krebsbehandlung einzuschlagen. (Regina Philipp,