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Eine Wochenschrift namens "Live" , deren intellektuelles Angebot nach den Worten ihres Chefredakteurs darin besteht, dass sie wie HEUTE vollkommen gratis flächendeckend in Wien und weiten Teilen Niederösterreichs vertrieben wird, kommt seit Kurzem einem dringenden Bedürfnis des Herausgebers der "Kronen Zeitung" nach, seine tiefschürfenden Lebensweisheiten gratis und flächendeckend auch in Wiener und Niederösterreicher einsickern zu lassen, deren Life von denselben bisher verschont geblieben sein mag. Dazu lud "Live" neulich erstmals auf eine Melange mit Hans Dichand ein und versprach: Hans Dichand, der legendäre Gründer und Herausgeber von Österreichs auflagenstärkster Tageszeitung, wird jede Woche mit LIVE ein kurzes Gespräch über Themen des Lebens wie Arbeit, Erfolg, Ziele, aber auch Politik führen.

Das ist nur billig, muss der legendäre Gründer doch im eigenen Kleinformat dem Gefunkel seines Esprits streng Einhalt gebieten, sollen sich die zahlenden Leser nicht geblendet abwenden, und auch in "Heute" muss er sich eines Familienmitgliedes bedienen, um seinen Auffassungen zu Themen des Lebens zum Durchbruch zu verhelfen.

"Live" sprang also zur Behebung eines drohenden Mangels ein, und nur deshalb erreichte uns Dichands Geständnis: "Die Auflage der Kronen Zeitung ist mir unheimlich", ein Lebensgefühl, das er mit vielen Ungleichgesinnten dieses Landes teilt. Schon besser war die Antwort auf die Rolle der Leserbriefe in der unheimlichen Zeitung. Dem Leser wird der Eindruck vermittelt, dass er die Zeitung macht. Wenn dieser Eindruck sich im Leser zur wahnhaften Überzeugung festigt, er wäre es, der die Zeitung macht, hat Dichand gar nichts dagegen, im Gegenteil, die Marionette soll ja im Glauben tanzen, sie wäre Strippenzieher.

Wieder weniger überraschend kam das Geständnis: Ich bekenne mich zum Kampagnenjournalismus. Alles andere wäre in Zeiten seiner pompös aufgezogenen Anti-EU-Kampagne eine allzu dick aufgetragene Lüge gewesen. Geradezu quälend hingegen das Geständnis: Mir fallen immer neue Ideen ein, und die möchte ich dann im Blatt umsetzen.

Die letzte dieser neuen Ideen war, Michael Jeannée für sein Geld wieder etwas stärker zu beschäftigen. Ihre Umsetzung durch Beförderung des Ex-Adabeis zum Briefsteller sollte sich rasch als eine der grauenhaftesten Emanationen Catonischen Ideenreichtums erweisen, man kann auch sagen, als die Blattlinie dort, wo sich der Herausgeber nicht selber schmutzig machen will.

Jeannée gibt sich gelegentlich liberal und als geradezu fanatischer Antinazi und Antikommunist. Als journalistischer Täter mit dem Wort unterscheidet er sich kaum von seinen Feindbildern. Menschen als Ungeziefer zu bezeichnen oder schon erledigte Gegner als "Spottgeburt aus Fuchs und Schwein" zu titulieren, gehörte zu deren Spezialitäten. Das kann Jeannée noch lange, wenn er etwa der Wiener Kriminalpolizei gratuliert. Mit der Verhaftung jener menschlichen Ratte ... die da mit fauligen Zähnen und fettigem Haar durch unsere Wienerstadt geschlichen ist ... Eine ebenso kranke wie bösartige Ratte ... Eine Ratte, die das reinste Gift war ... Ich danke euch für die erfolgreiche Ratzenjagd, und zwar aus vollem Herzen.

Der journalistische Kammerjäger weiß aber nicht nur bei Kinderschändern, was er im Sinne von Dichands immer neuen Ideen zu tun hat. In Österreich sieht die Verfassung zwar Gewaltenteilung vor und Höchstgerichte. Nicht vorgesehen ist darin die "Krone" als allerhöchste Gewalt - ein Mangel! -, in deren Namen ihr Herausgeber nicht nur seine Normen vorgibt, sondern sie auch gleich von seinem Gefolge exekutieren lässt, und in der einem Höchstrichter schon beigebracht wird, wer hierzulande Allerhöchstrichter ist.

Lieber Präsident Karl Korinek, darf Jeannée schreiben, der Sie dem so wichtigen österreichischen Verfassungsgerichtshof vorstehen: Liebte ich den Holzhammer, würde ich Sie jetzt fragen: Ticken Sie eigentlich noch ganz richtig? Und nachdem der Holzhammer seinen Dienst getan hat, holt er mit dem Florett aus: Was sich Korinek wohl gedacht habe, als er Samstag auf durchaus aktuelle Gefahren von Bürgerüberwachung ohne entsprechende gesetzliche Grundlage mit dem Satz hinwies: "Ich habe manchmal den Eindruck, wir werden überwacht wie seinerzeit DDR-Bürger von der Stasi."

Um seine Leser davon abzuhalten, erst länger über die Dringlichkeit dieser Warnung nachzudenken, gestattete sich Jeannée: Sie gestatten, dass ich mir die Antwort selber gebe. Sie lautet: nix! Weil Sie nämlich überhaupt nicht gedacht haben. Und da ist Korinek noch gut davongekommen, denn sollte die "Krone" im Namen des Volkes einen Polizeistaat wollen, hat ein Höchstrichter nicht auf Gesetzlichkeit zu bestehen, sondern gefälligst auf die Antwort zu hören, die sich ihr Briefschreiber im Namen seines Herrn selber gibt.

Hört auf, vom Überwachungsstaat zu klagen! stand auch sofort ein Leserbriefschreiber gegen Korinek parat, wobei er sich worauf berief? Auf die Mehrheit der anständigen Bürger. Die DDR ist näher als man glaubt. (Günter Traxler/DER STANDARD; Printausgabe, 25.9. 2007)