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Wie passt die Alarmistenwarnung vom "bedrohten Eisbären" zur Tatsache, dass sich die Eisbärenpopulation trotz Temperaturanstieg in den letzten 40 Jahren verfünffacht hat?

Foto: AP/Steve Amstrup
Sie kennen sicherlich die Belehrungen, dass Sie Ihren Kindern Biolebensmittel kaufen sollten, weil Pestizide Krebs verursachen? Nun, theoretisch stimmt es, dass zwischen den Chemikalien und der Erkrankung eine Verbindung besteht, aber in einem geordneten Land ist das Risiko minimal. Es gibt eine andere Bedrohung, über die Ihnen nicht viel erzählt wurde. Eine der besten Möglichkeiten zur Vorbeugung gegen Krebs besteht darin, viel Obst und Gemüse zu essen. Bioerzeugnisse sind zehn oder 20 Prozent teurer als herkömmliche Produkte, also kaufen die meisten von uns automatisch weniger, sobald wir "auf Bio umsteigen". Wenn Sie aufgrund Ihrer Entscheidung für teurere Bioprodukte den Obst- und Gemüseverzehr Ihres Kindes um lediglich 0,03 Gramm pro Tag verringern (das entspricht einem halben Reiskorn), wird sein Krebsrisiko insgesamt höher und nicht geringer. Wenn Sie in 20 Jahren auch nur einen Apfel weniger kaufen, weil Sie auf Bio umgestiegen sind, kommt Ihr Kind schlechter dabei weg.

Ich will den Menschen keineswegs Angst einjagen, um sie so von Biolebensmitteln abzubringen. Doch wir sollten immer beide Seiten einer Geschichte hören. Nehmen wir etwa einen Bericht, der es vor Kurzem auf die Titelseite von einigen der größten Zeitungen der Welt geschafft hat: Eisbären in Not. Uns wird erzählt, dass dieses majestätische Geschöpf durch die Erderwärmung ausgelöscht würde. Uns wird jedoch nicht gesagt, dass die Eisbärenpopulation trotz des Temperaturanstiegs in den letzten 40 Jahren von 5000 auf 25.000 gewachsen ist.

Rechnen wir doch mal nach

Aktivisten und Medien behaupten, dass wir unsere CO2-Emissionen verringern sollten, um die Eisbären zu retten. Gut, rechnen wir doch mal nach. Stellen wir uns vor, dass jedes Land auf der Welt – einschließlich der USA und Australien – das Kioto-Protokoll unterzeichnet und seinen CO2-Ausstoß für den Rest dieses Jahrhunderts verringern würde. Wenn wir uns die wissenschaftlich am genauesten erforschte Eisbärenpopulation von 1000 Bären in der West Hudson Bay ansehen – wie viele Bären könnten wir in einem Jahr retten? Zehn? 20? 100? Tatsächlich würden wir weniger als ein Zehntel eines Eisbären retten. Wenn uns die Rettung dieser Tiere wirklich am Herzen läge, könnten wir etwas viel Einfacheres und Wirksameres tun: die Jagd auf sie verbieten. Jedes Jahr werden allein in der West Hudson Bay 49 Bären geschossen. Warum unterlassen wir das nicht einfach, statt mehrere Billionen Dollar auszugeben, um damit eine 100-mal geringere Wirkung zu erzielen?

Globale Warnungen

Ständig bombardieren uns die Medien mit einer Flut einseitiger Warnungen. Die Liste der drängenden Probleme wird von der Erderwärmung angeführt, gefolgt von Terrorismus, Pestiziden, Artensterben ... – und sie scheint praktisch kein Ende zu nehmen. Gleichzeitig wissen wir um die furchtbaren Bedingungen, unter denen nach wie vor ein Großteil der Weltbevölkerung leben muss: über eine Milliarde in Armut, zwei Milliarden ohne Strom und drei Milliarden ohne sauberes Trinkwasser und Sanitäranlagen.

Das Gros meiner Arbeit besteht darin, all diese globalen Warnungen zu verstehen. Ich versuche, sie in den richtigen Kontext zu setzen und herauszufinden, über welche wir uns wirklich Gedanken machen müssen und wann wir auf sie reagieren sollten. Denn auch wenn es vielleicht überraschend klingen mag: Der verbreitete Ruf nach "Sofortmaßnahmen" macht nicht bei allen Problemen Sinn. Wenn wir keine gute Lösung haben, könnte es besser sein, sich zunächst auf etwas anderes zu konzentrieren. Schließlich ist es schwierig, sich Gedanken über die globalen Temperaturen in 100 Jahren zu machen, wenn man nicht weiß, woher die nächste Mahlzeit kommt.

Sowohl in den Entwicklungsländern als auch in den Industriestaaten hat sich die Lage enorm verbessert. In den letzten 100 Jahren haben Wissenschaftler viele der wichtigsten Schlachten gegen Infektionskrankheiten gewonnen, sodass nun Armut der Hauptgrund für nicht behandelte Leiden ist. Die durchschnittliche Lebenserwartung betrug im Jahr 1900 weltweit 30 Jahre, heute beträgt sie 68 Jahre. Nahrungsmittel sind reichlicher vorhanden und erschwinglicher, besonders in den Industrieländern, wo die Kalorienverfügbarkeit in den letzten 40 Jahren um 40 Prozent pro Person gestiegen ist, während sich die Lebensmittelpreise mehr als halbiert haben. Infolgedessen ist heute der Anteil der hungerleidenden Bevölkerung in der Dritten Welt seit 1950 von 50 Prozent auf unter 17 Prozent gefallen, während die Einkommen weltweit um mehr als das Dreifache gestiegen sind.

Am wichtigsten ist vielleicht, dass sich all diese positiven Trends wahrscheinlich fortsetzen werden. Die UNO schätzt, dass die durchschnittliche Lebenserwartung bis Mitte des Jahrhunderts 75 Jahre erreichen wird und dass der Anteil der Hungerleidenden auf unter vier Prozent sinkt. Am Ende des Jahrhunderts werden die Einkommen in den Industrieländern um das Sechsfache und in den Entwicklungsländern um das Zwölffache gestiegen sein. Und die Anzahl der Armen wird von einer Milliarde auf unter fünf Millionen sinken.

Panikmache einstellen

Das alles heißt nicht, dass wir aufhören sollten, uns um die Zukunft zu sorgen. Es bedeutet nur, dass wir die Panikmache einstellen und beginnen könnten, in Ruhe darüber nachdenken, auf welche Themen wir uns konzentrieren sollten. Globale Alarmglocken lösen vielleicht Schuldgefühle bei wohlhabenden Westlern aus, aber sie vermitteln uns nicht in angemessener Weise, was eigentlich los ist. Wir alle müssen stets beide Seiten der Geschichte hören ... (Bjørn Lomborg/©Project Syndicate, 2007; aus dem Englischen von Anke Püttmann/DER STANDARD, Printausgabe, 25.9.2007)