Die Herausforderung lautet, sich der Komplexität dieses Phänomens zu stellen und es auf mehreren Wegen zu bekämpfen.

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Ein verzerrter Blick auf die Gegenwart ist die schlechteste Methode, um sich auf die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten. Den Kampf gegen den internationalen Terrorismus als "Vierten Weltkrieg" zu bezeichnen, wie dies der führende amerikanische Neokonservative Norman Podhoretz in seinem neuen Buch tut, ist in jeder Hinsicht bizarr.

Erstens stellt sich die Frage: Wo und wann fand der dritte Weltkrieg statt? Der Kalte Krieg war nie mit dem Ersten oder Zweiten Weltkrieg zu vergleichen und zwar deshalb, weil aus dem kalten nie ein "heißer" Krieg wurde. Natürlich zielt der Bezug auf einen "Weltkrieg" darauf ab, eine gewisse Logik des "wir" gegen "sie" zu konstruieren. Angesichts der Komplexität und der vielen Strömungen, die innerhalb der muslimischen Welt bestehen, entspricht dies allerdings nicht dem Charakter der Herausforderung, vor die uns der radikale Islam stellt.

In Wahrheit werden wir durch diese Militarisierung des Denkens daran gehindert, die richtigen Antworten zu finden, die ebenso politisch wie sicherheitsorientiert ausfallen müssen.

Wie immer ist auch hier die Wortwahl von Bedeutung, denn Worte können leicht als Waffen eingesetzt werden, die wie ein Bumerang auf diejenigen zurückfallen, die sie unangemessen verwenden. Falsche Analogien haben Amerika bereits das Desaster im Irak beschert, einem Land, das mit Deutschland oder Japan nach dem Zweiten Weltkrieg nichts gemeinsam hatte. Diese Parallele wurde von manchen in der Bush-Administration gezogen, um das Argument zu untermauern, wonach man der Demokratie in früheren Diktaturen durch Besatzung auf die Sprünge helfen kann.

Die Bedrohung durch den Terrorismus ist selbstverständlich real und dauerhaft, wie die jüngst vereitelten Anschlagspläne in Deutschland bestätigen. Diese Pläne, in die auch ein junger, zum Islam konvertierter Deutscher verwickelt war, zeigten wieder einmal, dass uns der Terrorismus sowohl von innen als auch von außen bedrohen kann. Die nihilistischen und destruktiven Instinkte, die sich manche junge Deutsche der Baader-Meinhof-Generation aus der linksextremen Ideologie der 1970er-Jahre aneigneten, können, wie es scheint, zu einer "Romantisierung" der Al-Kaida umfunktioniert werden.

"Israelisierung" droht

Wir müssen uns in entschiedenster Art und Weise gegen eine mögliche Bedrohung durch den Terrorismus schützen, sollten Extremisten beispielsweise in den Besitz atomarer oder biologischer Waffen gelangen. Nachrichtendienste, Diplomatie, Sicherheitskräfte und die Information der Menschen über ein Leben im Schatten einer unsichtbaren Bedrohung müssen dafür aufgeboten werden. Eine gewisse "Israelisierung" unseres täglichen Lebens ist leider unvermeidlich geworden.

Das heißt allerdings nicht, dass wir vom Terrorismus buchstäblich besessen sein sollen und dabei weiter gefasste historische Herausforderungen aus den Augen verlieren. Die Ermordung des Thronfolgers von Österreich-Ungarn im Juli 1914 in Sarajewo war nicht der Grund für den Ersten Weltkrieg, sondern ein Vorwand. Die übergeordnete Bedrohung bestand damals nicht in der "anarchistischen Verschwörung" zur Destabilisierung von Kaiserreichen, sondern im Aufstieg eines wütenden Nationalismus gepaart mit dem selbstmörderischen Instinkt einer verfallenden Ordnung und dem fatalen Mechanismus der Logik der "Geheimbünde".

Globaler Führer Asien

Der übergeordnete Trend bestand damals darin, dass durch die Revolution im Transportwesen und die Entsendung von Massenarmeen der Krieg nicht mehr als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln gesehen werden konnte. Die Industrialisierung des Krieges hat ihn rational betrachtet "obsolet" gemacht. Der Erste Weltkrieg bedeutete weniger die Niederlage Deutschlands, Österreichs und des Osmanischen Reiches, als vielmehr den Selbstmord Europas.

Heute besteht diese übergeordnete Tendenz in der möglichen Verlagerung der globalen Führung vom Westen nach Asien. Die paranoide Reaktion der Neokonservativen in Amerika auf die terroristische Bedrohung - einschließlich des Säbelrasselns gegen die schiitishe "Mullahkratie" im Iran - kann diesen Prozess nur beschleunigen, wenn nicht gar unausweichlich machen, weil sie unsere demokratischen Werte gefährdet und damit die "Soft Power" der USA schwächt, während man gleichzeitig der Sache des Terrorismus in die Hände arbeitet.

Terrorismus ist das Produkt einer Verschmelzung zwischen einem extremistischen Teil des Islam, einem desillusionierten Nationalismus und dem, was Dostojewski als "Nihilismus" bezeichnete. Unsere Herausforderung besteht darin, die Ursachen dieser Kräfte zu verstehen und zwischen ihnen zu unterscheiden. Mit anderen Worten: Wir haben es mit der Herausforderung der Komplexität zu tun und müssen daher sicherstellen, dass sich einer kleinen Minderheit nicht stärkere Kräfte anschließen.

Größere Stabilität im Nahen und Mittleren Osten, wozu auch die Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts sowie eine effektivere Integration der Muslime in unsere Gesellschaften auf Grundlage sozialer Gerechtigkeit und Humanität gehören, sind die wichtigsten Elemente einer stringenten westlichen Strategie. Wenn wir das im Kampf gegen den Terrorismus und seine Ursachen aus den Augen verlieren, werden wir nicht in der Lage sein, der langfristigen Herauforderung durch "Chindien" zu begegnen.

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Dominique Moisi ist Gründungsmitglied und Berater des Französischen Instituts für Internationale Beziehungen (Ifri) sowie gegenwärtig Professor am Europa-Kolleg in Natolin, Warschau.

© Project Syndicate, 2007. Übersetzung: Helga Klinger-Groier (DER STANDARD, Printausgabe, 26.9.2007)