Wenn Khalid Gabr zurück in den Irak will, dann nur nach Bagdad

Foto: Khorsand

Hajan Majid und Shahen Karim verbringen die Sommer im Nordirak auf der Bowlingbahn oder im Billardclub.

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Saddam Hussein ist weg. Khalid Gabr wieder da. 13 Jahre lang hatte er auf Saddams Abgang, Sturz oder Tod gewartet. Gabr ist kein Politiker, der es auf Saddams Thron abgesehen hat. Er ist Frisör, der 1991 mit seiner Familie nach Österreich geflohen ist, weil er den Wehrdienst verweigert hatte. Im Sommer 2003, nur wenige Monate nach der US-Invasion, war der heute 33-Jährige das erste und bis dato letzte Mal in seiner Heimatstadt Bagdad. "Alles war mir fremd. Die Stadt, die Leute, die Gerüche ja sogar das Wetter. Es war dunkel und staubig", erinnert sich Khalid.

Über Amman nach Bagdad

Wer nach Bagdad will, kommt über Umwege hin. Mit seiner Schwester flog Gabr nach Amman, ins benachbarte Jordanien. Von dort hat ihn ein Kleinbus nach Bagdad gebracht. "Als ich diesen Iraker sah, der uns nach Bagdad bringen sollte, habe ich gezittert und habe kein Wort herausgebracht. Ich wollte ihn nur umarmen." Eine Nacht an der jordanisch-irakischen Grenze und acht Autostunden später war er schließlich in Bagdad, in seinem Viertel, in Sadr City, dem schiitischen Teil im Norden von Bagdad. Unrasiert und in billigen Klamotten, um nicht aufzufallen in einer Stadt, die in Ruinen lag.

150 Dollar eine Autobombe

Viele von Gabrs Verwandten und Freunden waren gestorben, einige hatten sich stark verändert. Als ihn ein bewaffneter und bis auf die Augen vermummter Mann auf der Straße grüßte, erschrak er, bis sich herausstellte, dass es ein Freund aus Jugendtagen war. "Als ich ihn gefragt habe, warum er denn einen auf Terrorist macht, hat er nur geantwortet: wegen dem Geld", erzählt Gabr. Sein Honorar: 70 Dollar gibt es wenn er Waffen von A nach B bringt, 150 Dollar bei einer Autobombe. Ruinen, verzweifelte Menschen, Terroristen, trotzdem will Gabr zurück, wenn es die Situation erlaubt. "Ich bin bereit im Irak vom Null zu beginnen, aber nicht im Nordirak. Ein Wiener ist schließlich auch nicht bereit einfach so nach Tirol zu ziehen", argumentiert er.

Dabei galt der Nordirak als die sicherste Zone des Landes. Die AUA bietet seit Dezember 2006 sogar Direktflüge von Wien nach Erbil an. Auf Grund der hohen Nachfrage weitete sie ihr Angebot von zwei auf vier Flüge die Woche aus. Seit August hat die AUA die Flüge wegen des zu hohen Sicherheitsrisikos auf unbeschränkte Zeit eingestellt. Trotzdem gilt der Nordirak im Vergleich zum Rest des Landes als eine Insel der Seligen. In den drei nordirakischen Provinzen Dohuk, Arbil und Suleymaniah, konnten die Kurden 1992 einen autonom verwaltete Zone einrichten, geschützt durch die von den Amerikanern und Briten eingerichtete Flugverbotszone nach dem zweiten Golfkrieg.

Ferien im Irak

Ferien im Nordirak sind für Hajan Majid nichts Besonderes mehr. 1986 ist sie mit ihren Eltern, zwei ehemaligen Peshmergas, die für ein unabhängiges Kurdistan kämpften, nach Österreich gekommen. Seit 15 Jahren verbringt die heute 24-jährige Politikwissenschaftsstudentin ihre Sommer im kurdischen Suleymaniah in der gleichnamigen Provinzhauptstadt, im Nordosten des Landes. Bevor es Direktflüge gab, flog sie wie die meisten Kurden bis nach Istanbul, von dort in den Südosten der Türkei nach Dyarbakir, wo sie dann mit dem Taxi zum irakisch-türkischen Grenzübergang nach Chabur gebracht wurde. "Sie durchsuchen alles und lassen sich absichtlich viel Zeit. Dann kannst du schon einmal ein paar Stunden bei der Grenze festsitzen", sagt Majid.

Auslandsstudium

Im Februar 2006 hatte sie genug von Urlaub und wollte Alltag sehen. "Ich war die erste Austauschstudentin in Suleymaniah", sagt sie. Fünf Monate besuchte Majid an der Universität Vorlesungen in Politikwissenschaft, Jus und Englisch. "Anfangs war es hart, weil es immer der gleiche Rhythmus war: Uni, nach Hause, Verwandte."

Dann hat sie Freunde gefunden, mit denen sie sich den Cafés der Hotels getroffen hat, die als Jugendtreffs angelegt sind. Seit ein paar Monaten gibt es auch eine Bowlingbahn mit Spielhalle und Restaurant, wo man gemütlich seine Cocktails schlürfen kann", erzählt Majid. Mädchen können unverschleiert in kurzärmeligen Shirts und Jeans auf der Straße gehen, ohne von jemandem zu Rede gestellt zu werden. Was sich seit dem Sturz von Saddam geändert hat? "Es wird sehr viel gebaut und die Lebensmittel sind teurer geworden, fast so wie in Österreich."

Demokratie hat ihren Preis

"Suleymaniah ist die teuerste aber dafür auch die demokratischste Region im Irak", wirft ihr Studienkollege Shahen Karim ein. Auch er ist Kurde und kam mit acht Jahren nach Österreich. Der 24-Jährige Politikwissenschaftsstudent stammt aus der Stadt Halabja. Den Giftgasangriff 1988, bei dem mehr als 5.000 Menschen gestorben sind, hat er miterlebt.

"Es war 11 Uhr als sie das Gas abgeworfen haben. Manche sagen es hat nach Zwiebeln gerochen, andere es war süßlich. Für mich und meine Brüder hat es nach Äpfeln gerochen", erzählt Karim. Mit seinen Geschwistern ist er dann aus dem Haus gerannt, sein Vater und ein Bruder sind noch einmal zurück gelaufen um Babynahrung für den Jüngsten mitzunehmen. Sie haben es nicht überlebt ebenso wenig 40 weitere Familienangehörige. Acht Tage war Karim mit seiner Familie in der Stadt, bis sie es in ein Flüchtlingscamp an der iranisch-irakischen Grenze geschafft haben.

Autos und Markenkleidung

Seit 1991 lebt er nun in Österreich, 2001 war er das erste Mal seit seiner Flucht in Halabja. "Alles war fremd. Ich habe die Verwandten nicht wieder erkannt. Die Stadt war noch immer in Ruinen." Drei Jahre darauf hatte sich die Situation gebessert. "Manche Verwandte verdienen mehr als ich hier. Die Familien haben ein oder zwei Autos und tragen Markenkleidung."

Die US-Invasion befürworten sowohl Karim als auch Majid. War es eine Genugtuung zu sehen, wie Saddam von den Amerikanern aus dem Erdloch gezogen wurde? "Es war gut, Saddam so tief zu sehen, dort wo er schon immer hingehört hat. Für mich hatte seine Hinrichtung aber keine Bedeutung. Das macht meinen Vater und meine Familie nicht wieder lebendig."(Solmaz Khorsand, derStandard.at/30.9.2007)