Meine Frau hat als Volksschullehrerin Klassen mit 90 Prozent Zuwandererkindern unterrichtet. Einmal hat sich ein Sechsjähriger vor ihr wie ein Ballon aufgeblasen: "Du Frau! Ich Türkisch-Mann! Du mich nix ausschimpfen!" Alexander Van der Bellen erzählte diese Begebenheit im Standard-Interview, Hans Rauscher griff die Anekdote auf und leitete daraus die Frage nach "unseren Werten" ab. Leser/innen antworten.

Mit einem "Mau" reden

Helga Ranzinger aus Wien-Döbling erinnert sich an eigene Erlebnisse: "Es ist schon eine Weile her, dass ich als Personalleiterin in einem Unternehmen mit der Beschwerde eines Mitarbeiters konfrontiert war - eines Mannes mit recht schlichtem, aber originär österreichischem familiärem Hintergrund, der als Bote arbeitete. "A Frau kaun doch ned so mid an Mau reden!', empörte er sich über den ihm unangemessen erscheinenden Ton einer Mitarbeiterin aus der Buchhaltung, deren übliche Ausdrucksweise besonders klar, knapp, präzise, sachlich und trocken war. Was er meinte, war: So darf doch eine Frau mit einem Mann nicht sprechen.

In nahezu allen Gesellschaften profitieren Männer nach wie vor von der ,patriarchalen Dividende', das heißt, es kommt ihnen von Geburt an etwas zu, was Frauen nicht zukommt. Räumliche Geschlechtertrennung macht nach unserem Verständnis Sinn bei Toilettenanlagen und Garderoberäumen. - Bei verschiedenen Religionsgemeinschaften wird meistens die Schlechterstellung der Frauen sichtbar gemacht: durch das Selbstverständnis, mit dem zum Beispiel der Haupteingang von Moscheen für die Männer reserviert ist und den Frauen die Hintertür zugewiesen wird - vor allem aber dadurch, dass im Andachtsraum die Mittler dafür, was der jeweils verehrte Gott angeblich geoffenbart hat und wonach sich die Menschen zu richten haben, ausschließlich Männer sind."

Macho und Dorfkirche

Dietmar Rudolf aus Salzburg kritisiert: "Bei drei Themen verlässt den sonst messerscharf argumentierenden Rauscher immer wieder der gesunde Menschenverstand: die USA, Israel und der Islam.

Jetzt wissen wir, was wir schon immer ahnten: Der ,Türkisch-Mann' als solcher ist eine bereits im Kindesalter unverbesserliche Dumpfbacke, die in Tarzan-Jane-Deutsch die Lehrerin auf die Überlegenheit des Mannes hinweist.

Abgesehen davon, dass er es westenstrachisch findet, mit billigen Anekdoten zu argumentieren, möchte der Unterfertigte, selbst Lehrer, darauf hinweisen, dass er neben türkischen auch kroatische und österreichische Machos kennt. Der größte Macho muss aber Rauscher selbst sein, wenn er nassforsch behauptet, die Gleichberechtigung sei in EU-Europa verwirklicht, frei nach dem Motto ,Jetzt habt ihr schon eine Uni-Rektorin und eine Chefredakteurin. Jetzt muss eine Ruh sein! Aber der frauenfeindliche Islam ...!' Da sind wir ja froh, dass die anderen Religionen vom Lamaismus bis zum Judentum so frauenfreundlich sind und dass wir neulich mit dem Papst die Speerspitze des Feminismus zu Besuch hatten.

Schon vergessen: Auch in unseren Dorfkirchen saßen einmal Männlein und Weiblein getrennt, jede Bäuerin trug ein Kopftuch und jede Familie hatte einen männlichen (!) Haushaltsvorstand. ,Lernen Sie Geschichte!', hätte der alte Kreisky gesagt."

Männermangel

Katharina de Ganay aus Petronell macht ein grundsätzliches Problem mitverantwortlich: "In dem Zusammenhang sollte auch ein anderer Aspekt angesprochen werden: nämlich die fast völlige Absenz männlichen Lehrpersonals an österreichischen Volksschulen. Während in Ländern wie etwa Frankreich von den ,Hussards de la République' gesprochen wird, ist dieser Beruf bei uns fast ausschließlich weiblich besetzt. Die Gleichberechtigung des Mannes sollte hier Hand in Hand mit einer Aufwertung des Lehrberufs vorangetrieben werden, denn männliche Identifikationsfiguren an unseren Volksschulen sind dringend dringend benötigt."

Gleichberechtigt?

Peter Biegelbauer aus Wien-Ottakring teilt den Optimismus von Hans Rauscher nicht: "In EU-Europa ist die Gleichberechtigung der Frau mehr oder minder verwirklicht, schreibt Rauscher. Mehr oder minder? Das ist hier allerdings wirklich die Frage. Mehrbelastung durch Job und Kinderbetreuung, Einkommen deutlich unter denen gleichaltriger und gleichqualifizierter Männer, Karriereende durch die bekannten ,gläsernen Decken', oftmals noch immer Ausschluss aus männlich dominierten Netzwerken in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft.

Rauscher ist beizustimmen, wenn er auf den Patriarchalismus im Nahen Osten als Problem auch in EU-Ländern mit bedeutendem Migrantenanteil hinweist. Aber gleichzeitig sollten wir EU-Europäer uns vorsehen, das Kehren vor der eigenen Haustüre zu vergessen. Bis zur Gleichberechtigung von Frau und Mann ist es auch hierzulande noch ein weiter Weg." (DER STANDARD, Pritnausgabe, 28.9.2007)