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Der Kanzler und sein Vize: Nach dem ersten Wechseljahr zeigt sich die Koalition in vielen Punkten uneins.

foto: ap/zak
Vor einem Jahr siegte die SPÖ bei den Nationalratswahlen, die große Koalition war damit vorgezeichnet. Zum Jubiläum präsentieren Rot und Schwarz Erfolgsbilanzen – gespickt mit Seitenhieben. Vizekanzler Molterer erteilt den SPÖ-Wünschen zu Kindergeld und Schulreform eine Absage. Was hat die Regierung bisher zustande gebracht?

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Ein ganz normaler Tag im Leben der Regierung. Die Sekretäre von Rot und Schwarz sind ausgeschwärmt, um sich gegenseitig einzuschenken. „Die ÖVP will diese Regierung nicht“, ätzt SPÖ-Bundesgeschäftsführer Josef Kalina: „Sie benimmt sich wie ein Wirt, der ein Gasthaus aufsperrt und dann über das eigene Bier schimpft.“ Kaum netter ÖVP-Generalsekretär Hannes Missethon: „Während Gusenbauer in New York joggt, macht die ÖVP die Arbeit.“

Streit ist das Markenzeichen dieser Regierung – auch in der Stunde ihres ersten Jubiläums. Vor einem Jahr, am 1. Oktober, gewann die SPÖ bei der Nationalratswahl mit hauchdünnem Vorsprung, die große Koalition war damit angelegt. Lange Erfolgsbilanzen haben Rote und Schwarze zu diesem Anlass erstellt. Freilich getrennt und garniert mit Seitenhieben.

Dank der SPÖ seien „ verdrängte Probleme“ angegangen worden, meint Kalina, während Missethon die „ÖVP-Handschrift“ preist, die sich wie ein „schwarzer Faden“ durch die Politik ziehe. Aber was haben die beiden Großparteien wirklich zusammengebracht? Vor allem die SPÖ hat sich die Latte hoch gelegt. „Mehr Fairness, mehr Solidarität“ hatte Bundeskanzler Alfred Gusenbauer versprochen. „Doch dann haben sich die Sozialdemokraten im Koalitionspakt selbst gebunden“, urteilt der Politologe Emmerich Tálos: „Die Regierung hat in der Sozialpolitik nichts Grundsätzliches verändert, sondern an der Basis der letzten sechs Jahre angeknüpft.“

Stolz ist die SPÖ auf die am vergangenen Mittwoch abgesegnete Mindestsicherung. „Ein innovativer Grundgedanke“, sagt Tálos, sieht in der Praxis allerdings gröbere Mängel. So sei das Niveau zu niedrig angesetzt: Mit 850 Euro pro Monat liegt die Leistung unter den 900 Euro, die laut EU als Armutsschwelle gelten.

Die Entschärfungen bei den Pensionen bezeichnet der Politologe als „marginale“ Veränderungen: „Die SPÖ hat der Pensionsreform nachträglich ihren Generalsegen erteilt.“ Einen größeren Fortschritt konnte die Regierung diese Woche beim Thema Pflege erzielen – die Förderung für die 24-Stunden-Betreuung für Patienten zu Hause steht.

Dass der Regierungspakt der SPÖ manchmal wie ein Korsett die Luft abschnürt, räumen auch Genossen ein. „Manche von uns haben in gewisser Naivität geglaubt, sie würden schon Spielraum haben, wenn sie erst Minister wären“, sagt ein SPÖ-Stratege: „Aber die ÖVP schaut auf jeden Punkt und Beistrich.“

Sport-Staatssekretär Reinhold Lopatka (ÖVP) kritisiert denn auch: „Es gibt Minister wie Erwin Buchinger, die über ihre Kompetenzen agieren.“ Der Sozialminister ärgert die ÖVP gerne mit „linken“ Ideen – etwa einer Vermögenssteuer. Durchgesetzt hat er sich damit nicht. Für die geplante Steuerreform 2010 gilt das Dogma: Erst ein Nulldefizit, dann ausschließlich Entlastungen.

Gegen Wände rennen die Sozialdemokraten auch bei der Bildungspolitik. Zum Dauerstreitthema entwickelte sich die Gesamtschule oder „Neue Mittelschule“, wie sie Bildungsministerin Claudia Schmied (SPÖ) aus Rücksicht auf den Koalitionspartner nennt. Einigen konnte man sich nur auf die Senkung der Klassenschülerhöchstzahl.

Hier die pragmatische Ex-bankerin, dort der studierte Philosoph, „der Gedankenspiele liebt“ (eine Parteikollegin): Die rote Schmied und der schwarze Wissenschaftsminister Johannes Hahn gehen unterschiedlich an die Arbeit heran. Kein Wunder, dass es in der rot-schwarzen Minister-WG am Minoritenplatz auch kriselte – wie unlängst beim neuen Schulorganisationsgesetz, das – so die ÖVP – nicht abgesprochen gewesen sei.

Manche Sozialdemokraten müssten ihre Rolle als Regierungspolitiker erst lernen, meint ÖVP-Wissenschaftssprecherin Gertrude Brinek (ÖVP) und denkt an ihr SPÖ-Pendant Josef Broukal, mit dem sie ein „kongeniales Paar“ bilde: „Man darf keine Angst vor Kompromissen haben.“ Von viel zu vielen Zugeständnissen spricht hingegen Ex-ÖH-Chefin Barbara Blaha, die wegen der nicht abgeschafften Studiengebühren aus der SPÖ ausgetreten ist. „Aus der Studentenperspektive hat es überhaupt keine Verbesserung gegeben“, sagt Blaha: „Es ist beschämend. Ich bin immer noch sauer.“

Gegenseitige Blockade

Aufeinander angespeist sind auch die Regierungspolitiker oft. Gegenseitige Blockaden gibt es viele. Erst gestern erteilte Vizekanzler Wilhelm Molterer SPÖ-Wünschen eine Abfuhr: Nein zur Arbeitszeitgrenze beim Kindergeld, schwarzer Gegenvorschlag zu Schmieds Schulreform. Uneinigkeit ebenso bei den Ortstafeln, den Eurofightern oder der Zuwanderung. Das Fehlen einer vernünftigen Migrationspolitik führt der Politologe Anton Pelinka als eines der größten Versäumnisse an.

Um Kompetenzen streiten SPÖ und ÖVP in der Umweltpolitik, seit Gusenbauer den Grünen Andreas Wabl zu seinem Klimaschutzbeauftragten ernannt hat. Die Energiesparziele der Koalition bezeichnen Experten wie Wifo-Chef Karl Aiginger indessen als „nicht ambitioniert“.

Die meisten Baustellen betreut Andrea Kdolsky. Das neue Kinderbetreuungsgeld, das die Familien- und Gesundheitsministerin von der ÖVP auf Schienen brachte, ermöglicht zwar den kürzeren Bezug (15 Monate für einen Partner, 18 wenn beide in Karenz gehen), allerdings um den Preis erheblicher finanzieller Einbußen. Dass sowohl die SPÖ als auch viele Experten für die Abschaffung der Zuverdienstgrenze plädieren, lässt Kdolsky – respektive die ÖVP – kalt. Kaum handfeste Ergebnisse gibt es bei der dringenden Gesundheitsreform, wo sich die Ministerin mit den Ländern herumschlägt.

Kaum Handfestes

Schlagzeilen macht Kdolsky aber nur in Ausnahmefällen mit Politik. Ob als Csardas-Fürstin, frisch verliebte Geschiedene oder als Schweinsbratenköchin: Die schillernde Ressortchefin ist Stammgast im Seitenblickeland. Nicht die einzige Spielart rot-schwarzer Inszenierungen, wie Pelinka glaubt. Der Politologe hält die ständigen Streitereien für aufgebauscht: „ÖVP und SPÖ erfüllen gleichzeitig beide Funktionen: Regierung und Opposition. Leidtragende sind die Grünen.“

SPÖ-Vordenker Karl Duffek findet an den öffentlichen Konflikten sogar positive Seiten. „Politik ist jetzt transparenter. Die Regierung macht sich nicht mehr alles hinter verschlossenen Türen aus“, meint der Chef des roten Renner-Instituts und weist auf eine neue Harmonie auf anderer Ebene hin: „Es gibt eine Wiederbelebung der Sozialpartnerschaft.“

Einzelne Ansätze zu mehr Gleichklang fallen aber auch in der Regierung auf. Für eine „Tonlage, die die Bürger auch hören möchten“ plädiert der sonst scharfzüngige SPÖ-Klubobmann Josef Cap. Und Ex-ÖVP-Generalsekretär Lopatka, einst berüchtigt für seine „Giftküche“, ringt sich sogar ein Lob für Alfred Gusenbauer ab: Nicht nur sein Vize Molterer, auch der Kanzler selbst agiere „professionell“. (DER STANDARD, Printausgabe, 29./30.9.2007)