EU-Beamter Jan E. Frydman: "Da ist Wachstum zum Angreifen. Man versteht das erst, wenn man es sieht."

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Intercell gewährte dem Schweden Jan E. Frydman Einblicke in die Labors. Beide wollen von einander lernen.

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Wien - Jan E. Frydman wischt Wassertropfen von seiner Brille. Aus Brüssel sei er ja 220 Regentage im Jahr gewohnt, und in seiner Jacke stecke stets ein kleiner Schirm. Aber 20 Minuten durch den Regen zu Fuß zu Intercell im Wiener Biocenter zu marschieren, sei vielleicht doch keine gute Idee gewesen, meint er mit breitem Lächeln.

Der 48-jährige Schwede ist auf einer neuen Mission der EU. Die Europäische Kommission schickt ihre Beamten künftig quer durch Europa auf Visite in kleine und mittelgroße Betriebe. Sie sollen tiefere Einblicke in den Alltag der KMU bekommen.

Frydman ist einer von 350 EU-Mitarbeitern, die bis 2009 je eine Woche Praxiserfahrung sammeln. Bisher haben sich in Europa rund 400 KMU um einen Beamten beworben - und der Impfstoff-Spezialist Intercell hat Frydman bekommen.

Er ist gelernter Jurist, studierte neben Stockholm in den USA und arbeitete für Procter & Gamble, große Banken und Versicherungen. Seit elf Jahren ist er bei EU Spezialist für internationale Beziehungen.

Von Biotechnologie habe er keine Ahnung, räumt er offen ein. Aber das sei auch der Sinn der Sache. Er wolle schließlich unvoreingenommen in für ihn neue Branchen blicken.

Die Frage, ob die EU denn so wenig über die Betriebe wisse, dass sie ihre Leute erst an Ort und Stelle schicken müsse, entlockt ihm ein weiteres Lächeln. Nein, so einfach sei der Umkehrschluss nicht.

Weg vom Schreibtisch

Klar sei aber, dass die EU die Probleme der KMU verstehen lernen müsse - und das nicht vom Schreibtisch aus. "Was ist wirklich nötig, um die Betriebe zu unterstützen? Wie wirkt sich in der Praxis die bisherige Unterstützung aus?" Frydman scheut sich nicht vor Kritik an den eigenen Reihen. Die EU müsse Rechtsvorschriften und Prozesse vereinfachen. Der Zugang zu den Förderungen gehöre erleichtert. "Und Brüssel muss seine Arbeit einfach besser kommunizieren."

Der Weg ins Labor führt vorbei an einer Großbaustelle. Intercell lässt eine neue Firmenzentrale errichten, und Frydman gerät ins Schwärmen. "Da ist Wachstum zum Angreifen. Man versteht das erst, wenn man es vor sich sieht."

Noch führen verwinkelte Gänge in das Herzstück von Intercell. Hinter dicken Glastüren mit dem abschreckenden Hinweis "Vorsicht Biogefährdung" identifizieren Mitarbeiter neue Antigene und isolieren Bakterien.

Raschere Förderungen

"Es ist gut, wenn die Leute aus Brüssel sehen, was vor Ort passiert", sagt Andreas Meinke, Leiter des Antigen-Identifikations-Programms. Wünsche an Brüssel hat er viele. "Wir beantragen etwa immer wieder EU-Förderungen. Doch von der Antragsstellung bis zur Genehmigung dauert es bis zu einem Jahr. Das ist für Firmen einfach zu lang."

Frydman wird der Weg vom Antigen zum Wirkstoff erklärt. Gespräche mit führenden Mitarbeitern hat er bereits hinter sich. "Wir können viel von Intercell lernen, etwa wie man Forschungsarbeit in reale Projekte transferiert", sagt er und nickt bestätigend. "Das Unternehmen zeigt, wie es funktioniert." Eine Intercell-Mitarbeiterin wiederum spart nicht mit Lob über Frydman. Bodenständig und unkompliziert sei er, versichert sie. "Wir haben da schon ganz andere EU-Beamte kennen gelernt."

Neben Intercell hatten bisher die zwei Tiroler Unternehmen Montavit und Feratel EU-Beamten auf eigenen Wunsch im Haus. Zugelassen für das Programm sind Firmen aus allen Branchen. Die Gastunternehmen dürfen maximal 250 Mitarbeiter beschäftigen. Kosten fallen für sie keine an.

Frydman erzählt über seine Eindrücke aus Österreich. Er habe sich mit Leuten der Wirtschaftskammer getroffen und mit Studenten der Business School diskutiert. Schockiert habe ihn dabei, dass unter den 37 Studenten nur ein einziger den Wunsch signalisiert habe, Unternehmer werden zu wollen. "Das ist ein europaweites Problem. Hier müssen wir mehr machen."

Zweifel an Brüssel

Allzu viel Misstrauen gegenüber der EU und Brüssel sei ihm bisher noch nicht entgegengeschlagen, sagt er. Nur ein Gespräch in einem Kaffeehaus habe ihn ein wenig verblüfft. Wiener hätten zuerst erzählt, an welchen Universitäten sie international studierten und welche Kurse sie sich wo anrechnen ließen. Doch als die Rede auf Brüssel kam, hätten sie verärgert abgewinkt - "als hätte die EU das alles nicht erst ermöglicht", meint Frydman kopfschüttelnd.

Abseits der geschäftlichen Termine zieht es den Schweden in die Oper und in Konzerte. Im Wiener Musikverein habe er Mozart gehört. "Diesen Saal kannte ich bisher nur aus dem Fernsehen vom Neujahrskonzert."

Die Brüsseler Kantine hat er nicht vermisst. So ein Wiener Tafelspitz sei nicht zu verachten, meint er, und blickt dann seufzend an sich herunter. Der weiße Labormantel scheint zu zwicken. "Ich habe hier wohl einige Kilo zugenommen." (Verena Kainrath, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29./30.9.2007)