Pluramon: "The Monstrous Surplus" (Karaoke Kalk/Soulseduction 2007)

Coverfoto: Karaoke Kalk
Nur selten bekommt man einen derart kopierschwundfreien Sound-Klon zu hören, wie ihn der Deutsche Marcus Schmickler 2003 vorlegte - gleich zweifach genaugenommen: "Time for a lie" und "Hello Shadow" (beide auf dem Album "Dreams Top Rock") klangen wie direkt von einer My Bloody Valentine-Platte aus der Zeit um 1990 gerissen. Um sich selbst kreiselnde Stücke zwischen Gitarrenwänden - laut, verzerrt und dennoch jeglicher Aggression bar -, blendend hellen Synthiefluten und säuselndem Gesang. Verschwimmende Grenzen und alles ineinander fließen lassen, kurz: Shoegazing total. Ein Knaller, ein Fest, eine nostalgische Wonne! Und auf Dauer natürlich nicht abendfüllend.

Macht nichts, denn um ein bloßes Revival geht's bei Schmicklers Projekt Pluramon nicht, auch wenn die aktuelle Platte "The Monstrous Surplus" den Kurs von "Dreams Top Rock" fortsetzt. Und die Shoegazing-Ära mittlerweile den erforderlichen 20-Jahre-Abstand zurückliegt, um im popmusikalischen Revival-Rad - siehe auch aktuelle Formationen wie Young Galaxy oder Mice Parade - zusammen mit "Nu Rave" der nächste heiße Scheiß zu werden.

Turn in

Das erste Indiz dafür ist die Person Marcus Schmickler selbst: Hier nimmt nicht einfach jemand die prägenden Sounds seiner frühen Hörer-Vergangenheit auf (was die Basis der meisten Pop-Revivals wäre) - Schmickler kommt aus ganz anderen Kontexten, komponiert abstrakte und klassische Musik und ist eher in der Elektronik als an der Gitarre zuhause. Mit seinem Nebenprojekt Pluramon rutschte er so langsam in den Gitarrenbereich und dann in den Pop hinein - die speziellen Soundstrukturen des Shoegazing faszinierten ihn um ihrer selbst, ihrer klanglichen Möglichkeiten und emotionalen Aspekte, willen. Die Wiederbelebung eines Genres ergab sich nur nebenbei.

Und dann ist da noch die Zeitlinie: Die elf Stücke auf "The Monstrous Surplus" sind von 2004 bis 2007 entstanden, direkt im Anschluss an "Dreams Top Rock", das einen ähnlich langen Zeitraum beanspruchte: ab 2000, als das Revival-Rad noch ganz auf frühe 80er Jahre eingestellt war. Bloße Shoegazing-Kopisten werden sich also schwerlich auf Schmickler berufen können.

Es werde Pop

Im Vergleich zu seinem Vorgänger ist das aktuelle Album heller, ein wenig leichter verdaulich und poppiger ausgefallen. Einzelne Instrumente lösen sich aus dem Dauerschwirren und verfolgen eine klare Linie, die Songs beugen sich einem klassischeren Spannungsaufbau und geben im Refrain oder am Schluss noch mal Extra-Gas: "K-Land" etwa tut's mit ziemlich genau dem gleichen Gitarrenriff, das Pulp in "This is Hardcore" verwendeten (große Oper!). Und "Drowning in you" bleibt bei aller oberflächlichen Ruhe vom ersten Beat an von einer nervösen Spannung gezeichnet, die sich dann nach zwei Minuten in einem Kreszendo entlädt - da steckt schon eine Menge Pomp drin.

... ebenso wie in "Can't Disappear", einer kitschig-schmachtenden Piano-Ballade, die von einem Streichermeer unterlegt ist (Streicher wie in - im Keyboard synthetisierte - Geigen, aber auch wie in dick beladene Buttermesser ...). Am Mikrofon wie schon auf "Dreams Top Rock": Julee Cruise. Durch vier Stücke haucht sich das singende "Twin Peaks"-Erbstück schaurig-schön um's Leben - darunter auch eine psychedelische Coverversion von Sham 69's "If the kids are united"; viel weiter kann man sich vom ursprünglichen Oi!-Punk kaum entfernen. Als zweite Gastsängerin ist die Schauspielerin und Musikerin Julia Hummer mit dabei - stimmlich Cruise ausgesprochen ähnlich und im Duett "Border" mit Schmickler an die besseren Momente von Phillip Boa und Pia Lunda erinnernd.

Kontexte

Herrschte auf "Dreams Top Rock" noch eine größere Stilvielfalt bis hin zu Elektronik und Jazz, so ist "The Monstrous Surplus" deutlich homogener ausgefallen. Höchstens über "Fresh Aufhebung" und "So?" dürfte sich der eine oder andere, der die CD einfach als ein Album mit sphärischer Pop-Musik wahrnimmt, wundern. Die beiden Stücke sind in Zusammenarbeit mit Jutta Koether entstanden, ihres Zeichens bildende Künstlerin, Publizistin und als zentrales Mitglied der vorvorigen Generation von "Spex"-AutorInnen mit ihrem Stil die Leserschaft polarisierend.

Beide Stücke sind als gesprochene Manifeste zwischen Poesie und Thematisierung des wirtschaftlichen und politischen Kontextes von Kunst angelegt, untermalt von Pluramons Instrumentalschleifen. Im Fall von "Fresh Aufhebung", dem der Titel des Albums entnommen ist, kommt die harsche Soundkulisse sogar aus dem Krautrock. Das mag den Rahmen sprengen, und muss es auch - beide Stücke sind wichtige Erinnerungen daran, dass Schmickler eben nicht dem Pop allein gehört, sondern in einem größeren Umfeld arbeitet.

So?

... und wem das egal ist und wer "The Monstrous Surplus" eben doch "nur" als sphärisches Pop-Album wahrnehmen will: Jederzeit! Denn der ist mit Schmicklers neustem Werk außerordentlich gut bedient. - Tss, und sowas wirft der Mann als Nebenprodukt aus. (Josefson)