Gute politische Kommunikation kann man von Wolfgang Schüssel lernen. Der Mann, der sich gar nicht so ungern als „Schweigekanzler“ etikettieren ließ, hat es meisterhaft verstanden, seinen Koalitionspartner unkommentiert zu lassen, wie toll sich der auch aufgeführt haben mag. Und er hat gelegentlich – wenn er die Gelegenheit ausnahmsweise für gut befunden hat – ein eigenes Kontrastprogramm abgespult.

Alfred Gusenbauer hat offenbar viel von seinem Vorgänger gelernt. Vor einem Jahr war er selbst sichtlich überrascht, dass er mit dem knappen Wahlerfolg Bundeskanzler werden konnte – und in seinem ersten Überschwang plauderte er von Absichten, Volkskanzler zu werden.

Er hat das sein lassen – und das dürfte ihm gut tun. Mag sich die ÖVP bisher in guten Umfragewerten gesonnt haben, mag sie dem Regierungsprogramm ihren Stempel aufgedrückt haben, mag sie ständig behaupten, die gestaltende Kraft im Land zu sein. All das wird schon ein reales Fundament haben; aber der Bundeskanzler ist eben der Bundeskanzler.

Er kann sich sparen, die Perspektivendiskussion der ÖVP zu kommentieren – irgendwann wird ihm vielleicht der Satz zu entlocken sein, dass der Koalitionspartner wohl selber wisse, dass da manches unausgegoren ist und hier noch Diskussionsbedarf gegeben sei. Ihn braucht das weiter nichts anzugehen, jedes inhaltliche Eingehen auf die interne Diskussion einer anderen Partei würde den Kanzler schwächen.

Deshalb hat die SPÖ in diesen Tagen der ÖVP das Feld weit gehend überlassen: Da macht Wilhelm Molterer die Ansage, dass er Kanzlerkandidat seiner Partei sein will, wenn sich diese in drei Jahren wieder einer Nationalratswahl stellen muss – die öffentliche Aufmerksamkeit dafür kann ihm die SPÖ ungeteilt überlassen. Sie kann auch die gut inszenierte Präsentation des Josef Pröll ungestört wirken lassen: Soll er doch seine konservativen Träume träumen, sozialdemokratische Wähler wird das nicht kratzen. Und wenn sich der eine oder andere ÖVP-Vorschlag aufgreifen und umsetzen lässt, ist das umso besser für die größere Regierungspartei.

Sie hat festgestellt, dass es ihr bei ihren Kernschichten kaum schadet, wenn sie der guten Sache halber nachgibt. Mag auch irgendwer beharrlich „Umfaller“ flüstern – dem Kanzler scheint das nicht zu schaden. Er wird nach und nach stärker, er wächst mit seinem Amt, das man ihm vor einem Jahr noch nicht zugetraut hätte. Und das zählt bei seinen Getreuen.

Es ist eben anders als vor einem Vierteljahrhundert: Damals wurde dem ebenfalls unterschätzten Norbert Steger, dem blauen Vizekanzler in der Regierung Fred Sinowatz, mit viel größerem Erfolg ein Umfaller-Image angehängt – was letztlich den Boden für den Aufstand der von Jörg Haider organisierten blauen Parteibasis bereitet hatte.

In der SPÖ mag es zwar manchen geben, dem die sozialdemokratische Politik zu wenig entschlossen nach links führt – aber die Geschlossenheit des Parteiapparats und die Gelassenheit des Spitzenmannes lassen solche Überlegungen zu geduldeten, aber wenig relevanten Einzelmeinungen zusammenschrumpfen.

In der SPÖ wird niemand nervös, wenn sich die ÖVP rund um den Jahrestag ihrer Wahlniederlage eine Woche lang mit Perspektivenpräsentation und Klubklausur feiert – es reicht, wenn der Kanzler am Montag in einer Rede im Parlament seine Sicht der Entwicklung der letzten zwölf Monate darlegt.

Das Signal ist deutlich: Hier spricht der Kanzler – dort stellt ein verdienter, aber gerade vom eigenen Parteichef in die zweite Reihe verwiesener Minister vor, wie schwarz die Zukunft aussehen könnte, wenn die Schwarzen könnten, wie sie wollten. Dass dem Vernehmen nach Punkte in dem Perspektivenpapier stehen, die auf eine Schwächung der Arbeitnehmervertretung hinauslaufen, braucht der Bundeskanzler nicht selbst zu kommentieren, das braucht nicht einmal die SPÖ zu tun – hier finden wohl die Gewerkschaften ein Betätigungsfeld. (DER STANDARD, Printausgabe, 1.10.2007)