ÖH-Wahlplakat aus der Endlosschleife der österreichischen Hochschulpolitik: nostalgischer Aktionismus oder zukunftsweisender Reformgeist?

Foto: Fischer
Eine Replik von Kurt Grünewald auf Hans Pechar und dessen an ÖH und Grüne gerichteten Vorwurf, sich im Streit um den Uni-Zugang von "erfahrungsresistenter Borniertheit" leiten zu lassen. ( Hochschulpolitik in der Endlosschleife - 27. 9. ).

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Wie Wanderprediger ließ vor Jahren die ehemalige Ministerin Gehrer ausgewählte Kronzeugen durch Österreich ziehen und ihre Universitätsreform als Meilenstein, Jahrhundertgesetz, Quantensprung und Weltklasse feiern. Der Jubel der nicht immer so andächtigen Zuhörer hielt sich in Grenzen. Dafür gibt es heute noch gute Gründe. Verglichen mit Vorzeigenationen sind unsere Universitäten beträchtlich unterdotiert, dem wissenschaftlichen Nachwuchs werden statt Perspektiven Kurzzeitverträge, schlechte Gehälter und neue Abhängigkeiten in alten Hierarchien geboten. Ressourcenmängel und schlechte Betreuungsverhältnisse schaden Forschung und Lehre. "Stimmt nicht, wir lassen uns Österreich und seine Universitäten nicht schlechtreden" war die meistgeäußerte Antwort auf Kritik.

Bis heute werden die Einheit von Forschung und Lehre, Autonomie und der offene Uni-Zugang wie Feigenblätter vor sich hergetragen, zu dürr und zu welk, um die Peinlichkeit der Scham zu verstecken. Ja, hier hat Pechar Recht. Worte und Wirklichkeit brachte unsere Hochschulpolitik nie wirklich zur Deckung. Dazu, und um die Realität zu vergessen, musste man den Begriff Zukunft strapazieren. Zukunftsweisend würde die Reform sein, und dafür war man bereit, auch den Finger einmal Richtung Gugging zu strecken.

Seifenblasen

Internationale Kenndaten im Bereich Bildung und Forschung lassen manche Phrasen und weltfremdes Eigenlob wie Seifenblasen platzen. Wenn man schon so gern mit den beliebten Schlagworten wie Leistung, Konkurrenz, Wettbewerb und Evaluation spielt, dann bitte sollte man sich auch internationalen Daten und den Studien renommierter Expertenorganisationen stellen. Es ist in höchstem Maße unerträglich und provinziell, eine für Österreich nicht gerade ruhmreiche OECD-Studie zu ignorieren oder mit müden Argumenten und Halbwahrheiten herunterzuspielen. Die frühe Selektion im Bildungsbereich beschert Österreich durch die Benachteiligung von einkommensschwachen und bildungsfernen Schichten eine unterdurchschnittliche Rate an Maturanten, und diese Diskriminierung setzt sich an der Schnittstelle Matura/Universität mit geringen Übertrittsquoten fort.

Neben Frankreich war Österreich das einzige EU-Land, das 1995 mehr Studierende hatte als 2004. Gemessen am BIP sanken in Österreich die Ausgaben für Bildung, und die prozentuale Zunahme der Studierenden lag im EU-Schnitt zehnmal höher als bei uns. Man sollte kein Datenfetischist sein und den Wert von Bildung auch frei von den Kriterien formaler Abschlüsse, Zeugnisse und Titel sehen. Wissensgesellschaft, Herr Pechar, sollte aber nicht die Gesellschaft einiger weniger und von Eliten sein, sondern eine Gesellschaft, die möglichst vielen den Zugang zu höherer Bildung erlaubt.

Schindluder

Dass mit dem offenen Zugang Schindluder getrieben wurde und eine rigide Budgetpolitik diesen letztlich durch Engpässe konterkarierte, mag unbestritten sein. Deswegen jene, die diese Politik nicht als der Weisheit letzten Schluss halten, als Nostalgiker zu bezeichnen, andere wiederum als borniert, nur weil sie sich mehr Studierende wünschen, halte ich gelinde gesagt für überheblich und verkürzt. Wie man in einen "Trugschluss verknallt" sein kann, wie Sie den Grünen unterstellen, sollten Sie als Nichtverliebter mir einmal vorhüpfen.

Es wird Sie überraschen: Ich bin nicht der Meinung, dass alle 211.000 Studierenden Österreichs Medizin inskribieren und sich Innsbruck als Ort erster Wahl aussuchen dürfen. Es wird Sie ebenso überraschen, mich als differenzierten Befürworter einer Studienplatzbewirtschaftung zu sehen. Erst wenn Universitäten objektiv und nachvollziehbar darlegen, wie viele Studierende in angemessener Qualität in einzelnen Studienrichtungen ausgebildet werden können, werden wir die Ursachen erkennen, die einer breiteren Wissensgesellschaft und mehr Chancengleichheit entgegenstehen. Dann ist die Politik gefordert, Farbe zu bekennen. Die Treffsicherheit der Studienwahl zu verbessern und Studentenströme in angemessener Weise zu lenken (nicht zu dirigieren) ist kein Verbrechen. Missstände als unveränderbar hinzunehmen und sich mit der gegenwärtigen Politik und ihren budgetären Restriktionen abzufinden ist Fatalismus.

Gymnastik

Wenn, wie Sie schreiben, Minister Hahn den "Nostalgikern des offenen Hochschulzugangs die kalte Schulter zeigt", ist das vielleicht eine gute Gymnastikübung, aber sicher kein sinnvoller Beitrag zur Hochschulpolitik. Ich wünsche mir, dass Studierenden nicht vermittelt wird, sie seien eine Gefahr für die Universität. Vielmehr sollte sich eine größere Zahl als bisher dort willkommen und erwünscht fühlen, empfiehlt, ja mahnt die OECD. Aber wer ist das schon? (Kurt Grünewald, DER STANDARD, Printausgabe 1.10.2007)