Österreich entwickle sich zum Überwachungsstaat à la DDR, sagte Karl Korinek, der oberste Verfassungsschützer der Republik. Worauf ihm, dem Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes, von der ÖVP vorgeworfen wurde, das sei eine unzulässige Übertreibung. War es auch. Aber die Politiker übertreiben dauernd. Und regen sich auf, wenn es andere tun.

Der Vorstoß Korineks war im Kern vollkommen richtig. Der Wunsch nach Sicherheit verdränge Grundrechte wie das Briefgeheimnis, das Fernmeldegeheimnis und den Datenschutz. Wenn das passiere, so Korinek, entwickle sich Österreich zu einem "totalitären Staat". Der Höchstrichter hätte noch dazusagen können: mit demokratischer Fassade.

Grundrechte und Presseausweise

Da die meisten Politiker nur jene Artikel lesen, in denen sie selbst vorkommen, entgehen ihnen Analysen und Debatten, auf denen Korineks Argument fußt. Denn als Folge von 9/11 hat ja auch die österreichische Regierung versucht, die Situation auszunützen und wie die USA Grundrechte zu beschneiden. Als ich das in einem Kommentar dem damaligen Innenminister vorwarf, bestrafte er gleich die ganze Journalistenzunft und weigerte sich monatelang, neue Presseausweise auszustellen. Die Pressefreiheit beschneidende Gesetzesentwürfe des Justizministeriums wurden erst nach Protesten zurückgezogen.

Als Anfang September der Leiter der Linzer Ars Electronica, Gerfried Stocker, im "Montagsgespräch" des Standard und später in einer Pressekonferenz das heurige Thema mit dem Satz "Der Orwell'sche Überwachungsstaat ist keine Vision mehr" vorstellte, rührte sich kein Politiker, keine Politikerin vom Fleck. War ja nur die Feststellung eines Internet-Experten. Noch dazu eines "künstlerischen Leiters". Nicht wichtig.

Lauschangriffe und Überwachung

Bei der Ars Electronica gab es zum Beispiel ein Symposion über "Grundrechte in der digitalen Welt". Warum soll sich das die Spitzenpolitik geben? Es häufen sich bloß die Lauschangriffe (Bravo: Da erwischen wir endlich die muslimischen Terroristen). In den letzten eineinhalb Jahren hat sich die Zahl der offiziell angemeldeten Überwachungsanlagen in Österreich verzehnfacht (Bravo: Dieben wird das Handwerk gelegt). Die ÖBB betreiben auf ihren Bahnhöfen bereits über tausend Kameras (Bravo: Endlich werden kriminelle Ausländer und Sandler kontrolliert).

Das gemeine Publikum findet noch ganz andere Sachen ziemlich gut. Willig liefert man bei Versandhäusern und Supermärkten persönliche Daten ab, um an die Billig- und Treueangebote heranzukommen. Dass die gesammelten Daten zu intimsten Einsichten verknüpft werden können, kümmert niemanden.

Überwachung geradezu gefordert

Mittlerweile wird Videoüberwachung geradezu gefordert. Von Mietern in großen Wohnanlagen genau so wie von Anrainern stark befahrener Straßen. Die wenigsten fragen, was mit den Daten geschieht. Die wenigsten wissen aber auch, dass keine einzige E-Mail, die sie löschen, auch wirklich gelöscht ist.

Alles bleibt, alles lässt sich wiederfinden. Das geht bis hin zu den Familien- Infos, die Kids mit ihren Freunden und Freundinnen austauschen.

Der gläserne Bürger ist jetzt schon Wirklichkeit. Der von der Stasi überwachte noch nicht. Weil Kontrolle noch möglich ist. Aber zu Orwell tritt Aldeous Huxleys "Brave New World": durch Unterhaltung und wachsenden Konsum vernebelte Bürger. Quotenfernsehen und Voyeur-Magazine lassen auch die Politik zum Amüsement verkommen. (Von Gerfried Sperl, DER STANDARD, Printausgabe 1.10.2007)