Die Zahl diagnostizierter Karzinome in Österreich hat sich seit Anfang der 1990er-Jahre von etwa 2500 auf nunmehr gut 4000 jährlich erhöht. Dies hat jedoch nicht so sehr mit einer Zunahme der Krebsfälle an sich zu tun, sondern vielmehr mit neuen Diagnosemethoden, mit denen immer früher und mehr Karzinome entdeckt werden.

Immer mehr chirurgische Interventionen

Entsprechend gestiegen ist auch die Zahl chirurgischer Interventionen, besonders der radikalen. Der jüngste Gesundheitsbericht der Statistik Austria weist jährlich 3600 Totalentfernungen der Drüse aus, Anfang der 1990er waren es nicht einmal die Hälfte.

Annähernd gleich geblieben hingegen ist nur die Zahl der jährlichen Toten. Sie pendelt seit damals zwischen 1000 und 1200 Männern, die ihrem Prostataleiden erliegen.

Risikoreiche Operation

Das Dilemma, vor dem Patienten wie Mediziner stehen: Nicht jeder Prostatakrebs ist lebensbedrohlich, oft sterben Männer mit und nicht an ihrem Tumor. Und die Operation ist risikoreich, oft bleiben Männer nach der Prostataentfernung inkontinent und impotent zurück, sind doch für Kontinenz und Potenz wichtige Muskeln und Nerven eng an die Prostata angelehnt.

Risikofaktoren nicht bekannt

Zu allem Überdruss gibt es auch keine Vorsorge: Noch immer ist unklar, welche Faktoren zu diesem Krebs führen. Fälle in der Familie (also genetische Ursachen), das männliche Sexualhormon Testosteron, vorwiegender Verzehr von rotem Fleisch und tierischen Fetten und möglicherweise Vitamin-D-Mangel werden als Risikofaktoren diskutiert. Fest steht aber, dass Prostatakarzinome typische Alterstumoren sind, meist treten sie ab 70 auf.

PSA-Test zur Früherkennung

Doch empfiehlt sich eine Früherkennung bereits ab 45 oder 50. Zur Abtastung der Prostata (siehe Wissen) hat sich inzwischen der PSA-Test gesellt, bei dem die Menge an Prostata-spezifischem Antigen im Blut bestimmt wird. Der PSA-Wert ist ein Hinweis für Veränderung im Prostatagewebe: Tumorpatienten haben meist mehr von diesem Eiweiß im Blut als Gesunde - aber nicht immer.

Nicht immer eindeutig

Und der Wert ist nicht nur bei Prostatakrebs erhöht, sondern kann auch bei gutartigen Vergrößerungen und Entzündungen der Drüse ansteigen, ebenso nach mechanischer Stimulation beim Sex oder Radfahren. Bei einem Fünftel der Prostatakarzinome ist der Wert jedoch gar nicht erhöht, trotz tastbarem Krebs.

Umstrittene Methode

Aus diesem Grund ist die Methode umstritten. Vor allem dann, wenn einzig aufgrund eines erhöhten Wertes (ab etwa vier) eine belastende Biopsie, eine Gewebeentnahme durchgeführt wird - wenngleich entnommenes und pathologisch untersuchtes Gewebe am treffsichersten auf vorhandene Krebszellen hinweist. "Die Bestimmung eines einzelnen PSA-Wertes zur Entscheidung für eine Biopsie ist ein Geschäft mit der Angst", kritisiert der Innsbrucker Urologe Georg Bartsch die noch immer verbreitete Praxis.

Langsam wachsende Formen

Früherkennung sollte primär auf sehr aggressive, also tödliche Formen des Prostatakrebses zielen. Doch vermutlich viel häufiger sind langsam wachsende Varianten, die wahrscheinlich jeder vierte bis dritte Mann ab 50 und jeder zweite ab 80 in seiner Vorsteherdrüse trägt.

Gravierende Nebenwirkungen

Ob diese Alterskarzinome sich jemals bemerkbar machen, ist fraglich, dennoch werden sie, weil von den aggressiven nicht zu unterscheiden, nach der Diagnose ebenfalls operiert - mit teils gravierenden Nebenwirkungen: Laut Studien kommt es bei einem Drittel der Patienten zu Blasenschwäche und bei etwa 80 Prozent zu Potenzstörungen. Einzig das Land Tirol, das ein flächendeckendes PSA-Screening anbietet, ist hier eine positive Ausnahme (siehe Interview).

Wir operieren viel zu viel

"Dennoch", relativiert Urologe Christian Türk, Oberarzt an der Wiener Rudolfstiftung, "operieren wir sicherlich viel zu viel Menschen mit dem Preis eingeschränkter oder verlorener Kontinenz und Potenz. Die Ejakulationsfähigkeit ist in jedem Fall weg." Doch er ist auch zuversichtlich. Neue Diagnostika könnten vielleicht bald viele unnötiger Operationen vermeiden. (Andreas Feiertag, MEDSTANDARD, 01.10.2007)