Josef Aff ist Professor für Wirtschaftspädagogik an der WU Wien.

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In der soeben veröffentlichten Studie des Instituts für Höhere Studien über die „Ökonomische Bewertung der Struktur und Effizienz des österreichischen Bildungswesens und seiner Verwaltung“ wird unter anderem eine Schwerpunktverlagerung von der mittleren Bildung (Sekundarstufe II) zur höheren Bildung (Tertiärbereich) eingemahnt.

Bernhard Felderer, ohne Zweifel einer der renommiertesten Ökonomen Österreichs, betonte bei der Präentation des Projektberichts unter anderem, dass eigentlich in der öffentlichen Debatte inputorientierte Faktoren wie „Qualität der Lehrer“ oder „Unterrichtszeit“ überbewertet werden. Vielmehr gelte es zur Steigerung der Qualität des Bildungssystems die Outputorientierung durch Einführung einer Zentralmatura oder/und zentraler Tests zu forcieren und den Einfluss des sozialen Umfeldes auf die schulische Leistung neu zu bewerten.

Als Wirtschaftspädagoge an der Schnittfläche zwischen Ökonomie und Pädagogik war ich über diese Äußerungen einigermaßen irritiert, weil diese zwischen Ignoranz, „pädagogischem Allgemeinwissen“ und bildungspolitischen Normen angesiedelt sind. Ignoranz deshalb, weil die empirische Unterrichtsforschung sehr valide die Bedeutung von Unterrichtszeit und kompetenten Lehrpersonen für effizientes Lehren und Lernen nachgewiesen hat und Felderer diese Befunde offensichtlich nicht wahrhaben will. Die Bedeutung des sozialen Umfeldes und damit von Vorwissen für erfolgreiche Lernprozesse steht lernpsychologisch und empirisch außer Diskussion und die Forderung nach Outputorientierung zu Lasten der bisherigen Inputorientierung stellt eine bildungspolitische (normative) Option dar, die derzeit u. a. von der OECD stark befürwortet wird.

„Cocacolaisierung“

Diese bildungspolitische Weichenstellung des IHS enthält die implizite „OECD-Botschaft“ einer zu geringen Akademikerquote in Österreich. Eine signifikante Erhöhung der Akademikerquote würde unter anderem bedeuten, eine der Besonderheiten der österreichischen Bildungsarchitektur, nämlich die Betonung der Berufsbildung in der Sekundarstufe II durch ein flächendeckendes Angebot von Berufsbildenden Höheren und Mittleren Schulen „zurück zu fahren“. Damit wird einer „Cocacolaisierung“ der Bildungssysteme das Wort geredet. Der in der Studie gemachte Hinweis einer ungünstigen Kosten-Nutzen-Relation in der Berufsbildung, u. a. durch (zu) hohe Ausgaben pro Schüler in Prozent des BIP pro Kopf , munitioniert diese bildungspolitische Position. Dazu ein paar grundsätzliche Anmerkungen: 1. Die Forderung nach „Tertiärisierung“ des Bildungssystems orientiert sich an der bildungspolitischen Zielvorstellung, im Sekundarbereich II möglichst vielen Schülern einen allgemeinbildenden Abschluss auf „maturaähnlichem“ Niveau zu ermöglichen und die Berufsausbildung auf Bachelor-Niveau an Universitäten oder Fachhochschulen, also in den Tertiärbereich, zu verlagern. Diese Bildungsarchitektur ist international vorherrschend, unter anderem in den skandinavischen Staaten und den Niederlanden, die bei Pisa besonders gut abgeschnitten haben. Es ist daher kein Zufall, dass in der Studie das Finnische Bildungssystem als Referenzsystem in Bezug auf Effizienz herangezogen wird . Ein solches Bildungssystem führt geradezu automatisch zu hohen Akademikerquoten, weil ja im Sekundarbereich keine relevante Berufsausbildung erfolgt. 2. in näherer Blick in die OECD-Daten verdeutlicht, dass Österreich nicht generell eine niedrige Akademikerquote aufweist, sondern nur im Segment von Kurzzeit-Hochschulabschlüssen auf Bachelor-Niveau (Finnland 29,6 Prozent, Österreich 4 Prozent). Im Bereich der Hochschulabschlüsse mit einer Dauer von real fünf und mehr Jahren, die bisher in Österreich auf Grund der Magisterstudiengänge vorherrschend waren, liegt Österreich nur knapp hinter Finnland und weit vor Schweden Ähnliches gilt bei den forschungsorientierten Studiengängen (Doktorats-Niveau), wo Österreich im internationalen Spitzenfeld liegt. 3. Die bildungspolitische Forderung des IHS nach einer Schwerpunktverlagerung von der mittleren zur höheren Qualifikation bedeutet im Klartext, das Markenzeichen der österreichischen Bildungsarchitektur im Sekundarbereich II, nämlich die Berufsbildenden Mittleren und Höheren Schulen in Frage zu stellen und Kurzzeitstudien – nach skandinavischem Vorbild – auszubauen. Für diesen bildungspolitischen Pendelschlag kann nicht Pisa herangezogen werden, weil diese Vergleichsstudien nicht den Sekundarbereich II betreffen. Ärgerlich ist, dass in der IHS-Studie kein Beleg erbracht wird, warum eine deutliche Verlagerung der Berufsbildung vom Sekundarbereich auf den Tertiärbereich ein „Erfolgsmodell“ darstellt.

4. Ignoriert oder unterschätzt man den pädagogischen und beschäftigungspolitischen Nutzen von Berufsbildenden Schulen, dann ist der generelle Befund zutreffend, dass in Österreich die Ausgaben pro Schüler (zu) hoch sind und die Berufsbildenden Schulen durch ein schlechtes Kosten-Nutzen-Verhältnis gekennzeichnet sind. Schüler von BMHS erfordern strukturell höhere Ausgaben, weil eine professionelle schulische Berufsbildung einer teuren Infrastruktur bedarf, denken wir nur an die Werkstätten der Höheren Technischen Lehranstalten. Zu Recht mahnt das IHS mehr Chancengerechtigkeit in der österreichischen Bildungsarchitektur ein. Gerade Berufsbildende Höhere Schulen stellen für bildungsfernere Schichten eine interessante Option dar, ihren Kindern entweder ein Studium oder eine Beschäftigungsperspektive auf Maturaniveau zu ermöglichen. Berufsbildende Mittlere Schulen kümmern sich unter anderem um jene schwierigen Jugendlichen, die häufig als Globalisierungsverlierer in anderen Bildungssystemen vernachlässigt werden und für zweistellige Jugendarbeitslosenraten sorgen.

All diese beschäftigungspolitischen und pädagogischen Aspekte wären zu berücksichtigen, wenn man die hohen Kosten in der Sekundarstufe II zur Diskussion stellt. Der deutsche Berufspädagoge Lipsmeier hat einmal darauf hingewiesen, dass Berufsbildung mehr zu sein hat als nur „Schmiermittel für ökonomische Entwicklung“. Genau diese instrumentelle und funktionale Sicht von Bildung liegt jedoch der IHS-Studie zu Grunde, wenn Bildung primär aus der Perspektive von „Humankapital als Wachstumstreiber“ betrachtet wird. (DER STANDARD Printausgabe, 2. Oktober 2007)