EWas seit der spektakulären Verhaftung dreier islamischer Möchtegern-Terroristen in Österreich geschah: Hobby-Theologen versuchten sich öffentlich in der Auslegung des Koran, um Gewaltbereitschaft des Islam nachzuweisen. Der Obmann einer politischen Oppositionspartei verlangte gegenüber der islamischen Glaubensgemeinschaft die Aberkennung des Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts, ein Verbot der Errichtung von Moscheen und Minaretten und die Untersagung des Kopftuch-Tragens in der Öffentlichkeit. Ein anderer oppositioneller Parteiobmann verstieg sich schließlich zu der Äußerung, der Volkswille gelte mehr als die Menschenrechte. Fällt niemandem auf, wie nahe der einer unseligen Vergangenheit zugehörende Begriff des "gesunden Volksempfindens" schon wieder an die Gegenwart herangerückt ist?

Den Anhängern des Islams nach hanefitischem Ritus wurde durch Gesetz vom 15. Juli 1912 - vor 95 Jahren - die Anerkennung als Religionsgesellschaft im Sinne des Staatsgrundgesetzes 1867 gewährt. Der Verfassungsgerichtshof hat im Jahr 1987 das Islam-Gesetz als Bestandteil der geltenden Rechtsordnung bestätigt und gleichzeitig die Einschränkung "auf den hanefitischen Ritus" aufgehoben. Gemäß § 6 dieses Gesetzes genießt "die Religionsgesellschaft der Anhänger des Islams als solche sowie hinsichtlich ihrer Religionsübung und ihrer Religionsdiener den gleichen gesetzlichen Schutz wie andere gesetzlich anerkannte Religionsgesellschaften", wie auch "die Lehren des Islams, seine Einrichtungen und Gebräuche" diesen Schutz genießen, "insoweit sie nicht mit den Staatsgesetzen im Widerspruch stehen."

Dieser rechtsstaatliche Rahmen für das Betätigungsfeld der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich - und nur dieser! - sollte auch den Rahmen für die anhängige Islam-Debatte bilden, wenn das Gemeinwesen nicht Schaden nehmen soll.

Folgt man dieser Überlegung und versucht man nicht, sie mit dem Hinweis auf die "blinde Justitia" abzutun, so kommt es nicht darauf an, ob Moscheen mit oder ohne Minarett als "artfremd" qualifiziert werden, sondern nur darauf, ob bei ihrer Errichtung Gesetz, Flächenwidmungsplan, Bauordnung und Ensembleschutz eingehalten und die erforderlichen Bewilligungen erteilt werden. Die quälende nähere Prüfung des Begriffes "artfremd" erübrigt sich damit, insbesondere die Frage nach der Begründung dieser Qualifikation und danach, was denn etwa als "artgemäß" zu bezeichnen wäre, weil eine solche Beurteilung durch das Gesetz nicht gedeckt ist.

Gleiches gilt für die leidige Kopftuch-Debatte: "Kopftücher haben für die Schulbehörde Modefragen zu sein. "Symbole werden erst durch Handlungen und geeignete Kontexte zu Symbolen", schrieb Jan Phillip Reemtsma unlängst an dieser Stelle. (22. 9.) Wolfgang Müller-Funk in derselben Ausgabe: "Anstatt uns über das Kopftuch zu erregen, sollten wir jenen Frauen einen sozialen und symbolischen Raum geben, die es nicht tragen - und umgekehrt alle Gegner der Zivilgesellschaft gleich behandeln: entschieden und gelassen." D'accord. Über all dem aber steht die Einhaltung der österreichischen Rechtsordnung, die eine Bekleidungsvorschrift, die den Gebrauch des Kopftuches im privaten oder im öffentlichen Bereich einschränken oder untersagen würde, nicht kennt.

Ein schlampiger Umgang mit der Rechtsstaatlichkeit ist aber nicht nur eine österreichische Angelegenheit, sondern berührt auch das internationale Rechtsgefüge: Die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), die für Österreich seit 3. September 1958 im Verfassungsrang steht, definiert in ihrem Artikel 9 die jedermann zustehende Religionsfreiheit mit der "Freiheit des Einzelnen zum Wechsel der Religion oder der Weltanschauung sowie der Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft, mit anderen, öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, Andachten und Beachtung religiöser Gebräuche auszuüben". Diese Religionsfreiheit darf ausschließlich Gegenstand solcher vom Gesetz vorgesehenen Beschränkungen sein, "die in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind".

Die Charta der Grundrechte der EU, die von Österreich im Rahmen des Verfassungsvertragsentwurfes parlamentarisch ratifiziert wurde und voraussichtlich Teil des bevorstehenden Reformvertrages sein wird, übernimmt in ihrem Artikel 10 diese Definition der Religionsfreiheit.

Damit konform geht auch die gemäß den Kopenhagener Beitrittskriterien gegenüber allen EU-Beitrittskandidaten erhobene unbedingte Forderung, die individuelle, kollektive und korporative Religionsfreiheit im Kandidatenland lückenlos zu gewähren und zu garantieren. Jede Verletzung der Religionsfreiheit in einem EU-Mitgliedsland schwächt die Rechtfertigung dieser Beitrittsbedingung und mindert ihre Glaubwürdigkeit, mit nachteiligen, ja gefährlichen Konsequenzen für eben jene religiösen Minderheiten im Kandidatenland, denen die Obsorge der Union gilt.

Das Argument schließlich, man wolle die individuelle, kollektive und korporative Religionsfreiheit der islamischen Minderheit in Österreich erst dann und insoweit gewähren, als Gleiches gegenüber den religiösen Minderheiten in mehrheitlich islamischen Ländern geschieht, geht an der unbestrittenen Rechtstatsache vorbei, dass Grund- und Menschenrechte einschließlich der Religionsfreiheit uneingeschränkt und unbedingt zu gewährleisten sind, unabhängig davon, ob Gleiches in anderen Ländern der Welt geschieht.

Gerade in den islamischen Ländern des Nahen Ostens hat Österreich nach wie vor einen guten Ruf. Die Regierenden mögen dafür sorgen, dass dieser Ruf nicht beschädigt wird.

Die islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich verdient Respekt, nicht Toleranz, denn "Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: Sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen" (J. W. Goethe). In diesem Sinne ist die islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich, deren Mitglieder sich zum Großteil im Vertrauen auf die seit 95 Jahren bestehende Gesetzeslage in unserem Land angesiedelt haben, zu respektieren, ohne jeglichen Anpassungsdruck im religiösen und kultischen Bereich. Das Grund- und Menschenrecht der Religionsfreiheit - dessen Gewährung mit dem Missbrauchsrisiko jeglicher Freiheit verbunden ist - muss auch in Zukunft im wohlbehüteten Zentrum jeglicher Wertedebatte stehen. (DER STANDARD, Printausgabe 03.10.2007)