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Toscanis Plakatserie wird von der italienischen Modefirma No-l-ita gesponsert.
Foto: AP/ALBERTO PELLASCHIAR
Wien - Eine Art "Nürnberger Prozess" gegen die Mode-, Werbungs- und Medienwelt erwartet der umstrittene italienische Starfotograf Oliviero Toscani. "Ich hoffe, ich bin dann noch am Leben", sagte Toscani, der derzeit mit einem Plakat einer essgestörten, abgemagerten nackten Frau für Kontroversen sorgt, im Gespräch mit der APA. "Alle sagen, dass mein 'Anorexie'-Bild schockierend sei", sagt Toscani. "Ich hingegen bin schockiert darüber, was diese Gesellschaft alles von uns verlangt, nur damit wir ihr Genüge tun. Wir leben in einer anorektischen Welt."

Angst vor dem Nicht-Genügen

In dieser von falschen (Selbst-)Bildern bestimmten Welt müsse man "gut aussehend, erfolgreich, reich" sein. "Wir haben alle Angst, das nicht zu erfüllen, nicht zu schaffen", so Toscani. Wegen dieses Drucks und seiner oftmals fatalen Auswirkungen müssten sich die Verantwortlichen einmal vor Gericht rechtfertigen, ist Toscani überzeugt. Ihm komme dabei eine Sonderrolle zu: "Ich werde sowohl anklagen als auch Angeklagter sein", prognostiziert Toscani, der mit seinen eindrücklichen Bildern von HIV-Positiven, einem blutdurchtränkten Gewand oder von Flüchtlingen bei seinen Benetton-Werbungen für Aufsehen und Kritik gesorgt hat und damit die Bilderwelt sowohl bedient als auch kritisiert hat wie kaum ein anderer.

Kriege in der Gesellschaft

"Ich bin eine neue Art von Reporter. Ich brauche nicht auf ein Schlachtfeld gehen, um ein Bild vom Krieg zu machen", schildert Toscani. Mit seinem Bild der essgestörten Frau, die bei der Aufnahme nur noch 31 Kilo wog, zeige er die Kriege, die in der Gesellschaft stattfinden, so der Fotograf mit Hang zum Provokativen. "Der banalste Krieg ist der im Irak." Die Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA "haben die Kunst getötet", so Toscani. "Wie kann man eine Videoinstallation machen nach dem, was man an diesem Tag gesehen hat? Die Kunst steckt seither in einer großen Krise. Deswegen ist diese Gesellschaft so traurig."

"Angst vor Kunst"

Die Gesellschaft habe "Angst vor Kunst" und ziehe sich auf jenes Schaffen zurück, das den so genannten "guten Geschmack" bediene - "aber das ist keine Kunst". Kunst habe nichts mit Moral oder Geschmack zu tun und müsse subversiv sein. Heute aber "muss man dem guten Geschmack dienen, um ein Publikum zu haben, um erfolgreich und reich zu werden." Den Einwand, dass er ohne Rücksicht auf den guten Geschmack auch reich und berühmt geworden sei, wischt Toscani zur Seite: "Ich bin sehr reich - denn ich weiß nicht, wie viel Geld ich habe. Ich war noch nie im Leben auf einer Bank. Meine Frau macht das. Ich frage sie: Kann ich mir ein neues Auto kaufen? Wenn sie 'ja' sagt, dann mache ich das."

Er selber versuche sich, von den alles umgebenden Bildern fernzuhalten: "Ich schaue nicht fern, ich lese keine Magazine mit vielen Bildern", so Toscani. "Ich wünschte, ich könnte das Fernsehen abschaffen." Toscani wünscht sich ein Gerät, das auf allen Bildschirmen der Welt "Gott erscheinen lässt, der sagt: 'Wenn ihr weiter fernsehen wollt, werdet ihr sterben", so der Fotograf, der sich in einem Wortspiel auf die afghanischen Taliban als "Teleban" sieht.

Zu Gast bei der Ars Electronica

Die Ars Electronica, die Toscani am Donnerstag zur Eröffnung der Ausstellung "u19 - freestyle computing" (bis 28. Oktober im net.culture.space im MuseumsQuartier) eingeladen hat, hat sich damit einen scharfen Kritiker der Idee eingehandelt, dass Computer und Technologie für Kreativität förderlich seien. "Sie machen stumm und blind", so Toscani, "Denn Technologie ist ein unglaublich starkes Werkzeug, und Kreative sind oft schwach." Man brauche kreative Leute, um mit neuen Technologien umgehen zu lernen - und "eine Menge an Idioten, die diesen folgen". (APA)