Daniel Kehlmann macht literarische Reisen in die Ferne und kommt daher bei einer heimischen TV-Diskussion schwer ins Grübeln. (Zeichnung: Ander Percher).

Zeichnung: Ander Pecher
Ist man nach längerer Zeit wieder in diesem Land und gerät direkt an eine Fernsehdiskussion über die größte Terrorserie der Zweiten Republik, so kann man schon ins Grübeln kommen. Zunächst über die Bewunderung, die normale Universitätsabsolventen einem Mann zu zollen bereit sind, bloß weil er im Stande war, ganze Sätze zu formen, Grammatikfehler zu vermeiden und sich Informationen aus mehreren Nachschlagewerken zusammenzusuchen.

Da bezeichnete ein Psychiater den verrückten Terroristen mit vor Begeisterung rotem Gesicht als „Genie“: Wäre der Mann kein Soziopath gewesen, würde man sich heute über einen heimischen Nobelpreisträger oder Harvard-Professor freuen!

Nun, abgesehen davon, dass Österreich sich noch nie über seine Harvard-Professoren gefreut hat, muss man doch leise widersprechen. Wie schon im Fall Natascha Kampusch verblüfft es einen, mit welcher Geschwindigkeit hierzulande Menschen nur deshalb, weil sie in der Lage sind, fehlerlose Sätze von sich zu geben, gleich scheu als absonderliche Monster der Gelehrsamkeit beäugt werden. (Und man denkt mit Amüsement an jenen Sprachwissenschaftler der Uni Wien zurück, der bezeugte, dass solch unergründlich reiche Schriften wie die BBA-Bekennerbriefe gar nicht von einem Menschen allein stammen könnten. Was macht der eigentlich heute, lachen seine Studenten immer noch, wenn sie ihn sehen?)

Dass der Intelligenzquotient eines verrückten NaziMörders, der sich selbst das Bombenbasteln beigebracht hatte, höher war als der seines Nervenarztes, dass der Mann dazu noch – im Unterschied zu seinem Opfer, dem gleichfalls in der Diskussion durch Wirrnis auffälligen Wiener Exbürgermeister – in der Lage war, ganze Sätze zu denken und sogar zu Papier zu bringen, hätte diesen womöglich als würdigen Teilnehmer des zweiten Bildungswegs qualifiziert. Aber seien wir ehrlich: Genies sehen anders aus. (Daniel Kehlmann, DER STANDARD; Printausgabe, 6./7.10.2007)