Schuh: Politiker haben ein Medienproblem. Es will ja nicht nur die politische Tat getan sein, sondern die Tat will auch gespiegelt werden. Es ist ja bekannt, dass Sie, Herr Bürgermeister, gut mit der Kronen Zeitung sind. Geht das leicht, ist das schwer? Muss man sozialdemokratische Grundsätze zumindest im unmittelbaren Umgang mit dem Blatt relativieren?
Häupl: Wenn man professionell ist, dann geht das schon. Ich halte von dem Haberertum zwischen Politik und Journalismus überhaupt nichts. Gar nichts. Aber sehr viel von einer professionellen Zusammenarbeit, die von wechselseitigem Respekt getragen ist. Das heißt nicht, dass ich mit allem übereinstimmen muss. Wenn ich mir heute die Innenpolitik-Seiten der Kronen Zeitung anschaue, insbesondere, wie sie die Europafragen abhandeln oder die Integrationsfragen, dann ist das mit Sicherheit etwas, wo ich sage: Da stimme ich mit nichts überein. In anderen Teilen - Schulpolitik - schon viel eher. Aber ähnliche Differenzen habe ich mit allen anderen Zeitungen auch.
Schuh: Professionell heißt also, den Medien gegenüber eine Art Äquidistanz aufrechtzuerhalten. Egal, welche Medien eine politische Vormachtstellung haben oder nicht.
Häupl: Man erkennt einander an, sie machen ihren Job, ich mache meinen Job, und dann versucht man tunlichst, miteinander zu arbeiten.
Schuh: In der Sozialdemokratie haben wir ja den Herrn Kalina ...
Häupl: ... den Bundesgeschäftsführer.
Schuh: Was für ein schöner Titel.
Häupl: Ja, so preußisch.
Schuh: ... der ist ja ein echter Kronen Zeitungs-Mann.
Häupl: Eigentlich kommt er aus der SJ und ist dann zur Krone, und dann ist er wieder zurückgekehrt. Und eine Zeitlang dazwischen war er der Pressereferent von Kanzler Klima.
Schuh: Die Sozialdemokratie erlebt jetzt in Österreich einen ungeheuren Transformationsprozess. Dieser hängt, langweilig genug, mit dem Bawag-Prozess zusammen. Mit dem, was der Gewerkschaft durch die Bank passiert ist. Die Gewerkschaft war über lange Jahre ein mächtiger, na sagen wir, Sozialpartner. Und jetzt beginnt ein schwieriger Prozess, wo sich die Gewerkschaft und mit ihr die Sozialdemokratie - sind wir einmal freundlich - neu orientieren muss. Was ich nicht verstehe, ist, dass es überhaupt keine Reflexionen in der Partei gibt - zumindest dringen keine nach außen -, die diese historische Zäsur thematisieren.
Häupl: Nach außen dringt das eigentlich nur dann, wenn von den Medien akzeptierte Teile der Diskussion hinausgetragen werden. Zum Beispiel die Frage, dass Spitzenfunktionäre des ÖGB nicht mehr dem Nationalrat angehören sollen. Das ist so eine über diesen Wasserspiegel hinausragende Spitze einer Diskussion gewesen, die natürlich sehr viel differenzierter ist. Die Diskussion wird in den Gewerkschaften, vor allem von den jüngeren Gewerkschaftern, geführt. Aus der Analyse der Arbeitswelt heraus sehen diese Leute natürlich auch, dass sich das Aufgabengebiet für die Gewerkschaft völlig verändert hat. Wenn es keine rauchenden Schornsteine gibt, kann ich keine rauchenden Schornsteine vertreten.
Schuh: Kann nur selber rauchen - in der Sitzung oder es mir abgewöhnen aus Solidarität mit den Nicht-Rauchern.
Häupl: Die revolutionäre Phrase von der Vertretung der Arbeiterklasse fällt mangels Arbeiterklasse aus.
Schuh: Wunderbar.
Häupl: Trotzdem braucht eine große Zahl von Menschen eine gute, funktionierende Interessenvertretung. Das brauchen heute die Arbeitslosen, die Teilzeitbeschäftigten. Das brauchen die völlig wahnsinnig bezahlten Regaleinschlichter in irgendwelchen Handelsunternehmen. In Wirklichkeit brauchen auch die diversen kleinen Einzelunternehmen, die es heute gibt, die Software-Produzenten oder ähnliches, eine Interessenvertretung. Es schaut die Arbeitswelt und Nicht-Arbeitswelt heute ganz anders aus. Hat sich früher die Gewerkschaft darauf konzentriert, eigentlich die Mittelschicht, die halbwegs gut verdienende Mittelschicht der Arbeitnehmer bis hin zur Lohnpolitik zu vertreten, stellen sich jetzt ganz andere Aufgaben.
Schuh: Der Transformationsprozess der Sozialdemokratie: Das Verhältnis der Sozialdemokratie zu den Gewerkschaften ist nicht eindeutig. Es gibt das internationale Beispiel: der Blairismus wäre mit starken Gewerkschaften nicht möglich gewesen. Frau Thatcher hat Blair die Möglichkeit eröffnet, eine andere Art von Sozialdemokratie zu begründen, als eine solche, die auf Arbeitervertretung und damit auch auf die Gewerkschaft angewiesen ist. Wie sehen Sie das für uns hier?
Häupl: Weitaus weniger spektakulär als in Großbritannien und nicht einmal so wie in Deutschland. Es gibt sicher einige unter uns, die eine größere Distanz zu den Gewerkschaften befürworten. Aber selbst die sind kein Vergleich zu dem, was sich in England abspielt. Ich selbst zähle mich nicht dazu, aus dem einfachen Grund, weil Partei und Gewerkschaft in ihren Organisationsstrukturen viel zu sehr miteinander verwoben sind. Ich würde permanente Loyalitätskonflikte bei 40 Prozent meiner Wiener SPÖ-Funktionäre, die eben auch Gewerkschafter sind, hervorrufen. Ja, in der österreichischen Sozialdemokratie ist ein Transformationsprozess Realität. Aber ich denke, dass eines geblieben ist, was man von der britischen Labour Party nicht sagen kann: Es ist bei uns vollkommen unbestritten, dass es eine zentrale politische Frage gibt. Das ist die soziale Frage. Die soziale Frage ist die Grundlage unserer Existenz. Und das ist allen bewusst, wenn man so will, auch den "kapitalistischsten" Typen unter uns, dass, wenn wir diese Frage aufgeben oder auch nur oberflächlich beantworten, wir sofort enorme Probleme kriegen. Als wir diese Frage schlampig beantwortet haben - Stichwort "Nadelstreif-Sozialismus" - haben wir auch verloren. An die Sozialdemagogen am rechten Rand.
Schuh: Das Moralische hat ja schon Marx als kleinbürgerliche Attitüde denunziert. Auf der anderen Seite: In der Mediendemokratie ist das Moralische, weil es einem jeden eingängig ist, ein Propaganda-Mittel par excellence. Wenn der generell beliebte Ex-Bundeskanzler Vranitzky im Bawag-Prozess als Zeugenaussage das wunderbare Wortkunstwerk in den Raum stellt: "Laut Gesetz sind Berater-Honorare für im Ausland tätige Unternehmen frei von Umsatzsteuer", so kann man auch darin eine soziale Frage sehen: Die Freiheit, die ich meine, ist nicht zuletzt meine Befreiung von der Umsatzsteuer, wenn ich im Ausland einen Spekulanten berate. Es ist ja relativ leicht, einige Personen in der Sozialdemokratie als merkwürdige Nutznießer darzustellen, für die die soziale Frage gelöst ist. Wie verhalten Sie sich dazu als ein im positiven Sinn eher konservativer Sozialdemokrat? Streiten Sie mit Androsch?
Häupl: Ich will das nicht auf meine persönliche Konfliktgeschichte mit Hannes Androsch reduzieren. Androsch hat es einmal zurecht gesagt: Es muss niemand ein Armutsgelübde abgelegt haben. Natürlich streiten wir. Ein Unternehmer vertritt Unternehmer. Der Standort bestimmt den Standpunkt. Jetzt kann man mit einem Unternehmer, der Unternehmer-Interessen vertritt, durchaus auch Freund sein, aber man muss wissen, was man tut. Ich habe eine Reihe von guten Freunden, die sind Journalisten, trotzdem darf man nie vergessen, dass sie Journalisten sind. Zu keiner Sekunde. Und ist die Tageszeit noch so fortgeschritten und ist der Wein noch so gut. Das darf man nie vergessen. Und dann geht es.
Schuh: Was für ein trauriges Leben. Ich wiederum kann mit Journalisten nur, wenn ich vergesse, dass sie welche sind. Aber, Herr Bürgermeister, das war nicht die Antwort.
Häupl: Ich weiß, aber ich müsste wirklich sehr persönlich werden. Und das will ich, ehrlich gesagt, nicht. Aber ich habe den Eindruck, dass man gerade der derzeitigen Führung der Sozialdemokratie den Vorwurf nicht machen kann, dass sie es sich sozusagen gerichtet haben. Denen kann man einiges vorwerfen, aber das nicht. Diese Redlichkeit gegenüber den eigenen Ideen ist tatsächlich da.
Schuh: Wenn man Politiker nicht kennt, hat man das Gefühl, das sind Menschen, die haben die Fähigkeit, Macht libidinös zu besetzen. Unsereins kommt ja aus einer Kultur, wo zumeist das Umgekehrte der Fall ist: Wir besetzen unsere Ohnmacht libidinös. Wie ist das mit der Macht?
Häupl: Ich habe zur Macht ein ganz natürliches Verhältnis - mit Sicherheit keine semi-erotische Beziehung. Ja, selbstverständlich ist die Funktion des Bürgermeisters eine mächtige Funktion. Gar keine Frage. Auch mit den ökonomischen Möglichkeiten, die sich über die Stadt ergeben. Es ist zwar nicht mehr ganz so wie früher, als der Bürgermeister gleichzeitig Vorsitzender vom Sparkassenrat der Z war und Vorsitzender vom Verwaltungsrat der Wiener Städtischen und und und ... Das ist ja alles vorbei, das gibt es nicht mehr. Ich bin mir aber auch ganz sicher, dass ich ohne die Quasi-Annehmlichkeiten genauso leben kann - Dienstauto zum Beispiel, so was lässt sich leicht als Privileg hinstellen. Aber ich steige ins Auto ein und fange zu arbeiten an - was man bekanntlich nicht kann, wenn man gleichzeitig fahren muss. Ich kann mir durchaus vorstellen, wieder ein selbstbestimmtes Leben zu haben, das einschließt, dass man mit der U-Bahn und der Straßenbahn fährt. Ich genieße die Macht nicht. Ich gebrauche sie. Ja selbstverständlich. Insofern habe ich ein ziemlich natürliches Verhältnis dazu. Wer nämlich Macht hat und sie nicht gebraucht, wird bekanntlich am Müllhaufen der Geschichte landen ...