Barbara Frischmuth (Zeichnung: Ander Pecher)

Zeichnung: Ander Pecher
Ein Land von Morgenstern bis Abendkasse, hin und her gerissen zwischen der nicht mehr sehr effektiven militärisch-zivilen Bürokratie und einer erstarkenden muslimisch anatolischen Mittelschicht: welchen Weg wird das Land gehen? Der wirtschaftliche Aufschwung scheint geglückt, und sonst?

Hayrünnisa Gül, die Frau des Staatspräsidenten, lässt sich von Atil Kutoglu eine neue Garderobe entwerfen, mit Kopftuch natürlich. Denn: "Mein Kopftuch verhüllt meinen Kopf, nicht mein Gehirn", wie sie zu Beatrix von Holland bei einem Empfang sagte. Sie hat mit fünfzehn geheiratet, drei Kinder geboren, ihren Schulabschluss nachgeholt, doch durfte sie wegen ihres Kopftuchs nicht immatrikulieren. Ihre Tochter hat inzwischen das Ingenieursstudium abgeschlossen - mit Perücke.

Das Kopftuchverbot an türkischen Universitäten wird also fallen. Eine neue Verfassung steht an, die als Korrektur der Verfassung von 1982 (die die 1980er Putschgeneräle in Auftrag gaben) gehandelt wird. Und diese neue Verfassung wird zeigen, ob der Schutz der Grundrechte des Einzelnen sowie die Beziehungen zwischen Staat, Gesellschaft und Individuum tatsächlich neu festgelegt werden, wie von der Regierung Erdogan in Aussicht gestellt. Die Überlebensfragen sind dabei die Stellung der Religion und der Umgang mit Minderheiten. Ähnlich wie Österreich ist auch die Türkei eine Art Rumpfstaat, der von einem Imperium übriggeblieben ist, mit all den daraus resultierenden Problemen. Beide Länder haben einen Holocaust auf dem Gewissen, dessen Aufarbeitung mit größten Schwierigkeiten vor sich ging und geht. Und in beiden Ländern tut sich die jeweilige Leitkultur mit den anderssprachigen Einheimischen schwer. Somit bleibt die Integration der Kurden als Kurden - und nicht als Bergtürken - eines der wichtigsten Vorhaben. (DER STANDARD, Printausgabe, 6.10.2007)