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Reich sein in den USA: Nichts ist zu teuer, nichts zu exklusiv. Das reichste Prozent der US-Bürger hat in einem Jahr mehr verdient als das Bruttoinlandsprodukt Frankreichs ausmachte.

Foto: AP/Mark Lennihan
Der Reporter Robert Frank hat "Richistan", das Land der Reichen, in den USA entdeckt. Er fand Aufstieg und Absturz, alles zerfressenden Neid und einen Wettlauf in puncto Wohltätigkeit.

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Pete Mussers Geschichte klingt, als ob sie schon tausend Mal erzählt worden wäre. Sie beginnt mit den Höhenflügen der New Economy. Der Geschäftsmann hat den richtigen Riecher, steckt Geld in junge Softwarefirmen, die niemand kennt, deren Börsenkurse aber bald in astronomische Höhen schnellen. Kurz vor Silvester 1999 wird Musser, dank seines Aktienbesitzes, auf dem Papier Milliardär. Im mexikanischen Los Cabos, wo er mit seiner Verlobten Hilary am Pool liegt, knallen die Sektkorken. Zwei Jahre später steht er mit 15 Mio. Dollar in der Kreide.

Robert Frank sitzt im Café in Manhattan, rührt im grünen Tee und schildert den Absturz des Pete Musser. Er blieb am Ball, als sich niemand mehr für den Gescheiterten interessierte. Der verlor Privatjet, Stretchlimousine, Ferienvilla auf der exklusiven Insel Nantucket. Die schöne Hilary, mit 34 halb so alt wie er, zog von dannen, sogar sein langjähriger Tennispartner sagte leise Servus. Als Frank den Ruinierten im Jammertal besuchte, steckte er die Kerzen am Tannenbaum an, um sich aufzumuntern - mitten im Mai.

Es ist eine Geschichte aus Richistan, wo Aufstieg und Fall dicht beieinander liegen. Richistan? Ein Land ohne Grenzen, ohne Flagge, ohne Armee. Reisereporter Frank entdeckte es, nachdem er in seine Heimat New York zurückgekehrt war, 2002, nach Jahren als Korrespondent in London und Singapur. Die Dotcom-Blase war geplatzt, dennoch, Manhattan schien im Geld zu schwimmen. Irgendwann stieß er auf eine Statistik, die ihn neugierig machte. Von 1995 bis 2003 hatte sich die Zahl der Millionärshaushalte mehr als verdoppelt. Jährlich kam fast eine Viertelmillion neuer Millionäre dazu. Das reichste Prozent der US-Bürger, Menschen mit mindestens sechs Mio. Dollar, verdiente in einem Jahr mehr, als es dem Bruttoinlandsprodukt Frankreichs entsprach.

"Liquidity event" ...

Da hatte es Frank gepackt. Er wollte ihn näher ergründen, diesen Staat im Staate. Wie er entstanden war, wusste er. Globalisierung und schnelle Kommunikation beschleunigten sein Wachstum, hinzu kamen massive Steuersenkungen, von Ronald Reagan eingeleitet, von George W. Bush auf die Spitze getrieben. Und zu Geld kamen die meisten Richistanis nicht etwa durchs Erben, sondern durch etwas, was in ihren Kreisen "liquidity event" heißt. Sie verkauften ihre Unternehmen und kassierten kräftig. Doch was der Forschungsreisende wissen wollte, war vor allem dies: Was sind das für Leute, die eben noch Mittelklasse waren und plötzlich im Lande Dagobert Ducks wohnen? Was hat der Dollar aus ihnen gemacht?

Im Wall Street Journal, dem Leib- und Magenblatt der Finanzwelt, bekam Frank eine eigene Kolumne, um zu erzählen, was er bei Ferrari-Händlern, Sotheby's Auktionen und High-Society-Partys an Anekdoten erlebte. Jetzt hat er ein Buch geschrieben und bestätigt eigentlich nur, was alle schon wissen: dass Geld selten glücklich macht.

Da ist Tim Blixseth, der Sohn eines Sozialhilfeempfängers aus Oregon, der seine erste Million im Holzhandel machte und später luxuriöse Ferienclubs baute. "Ich hasse reiche Leute", stöhnt er. "Die sind so arrogant, das sind solche Narren." Um sich zu beweisen, wie normal er noch ist, trägt Blixseth am liebsten Jeans und Sandalen und schlürft seinen Mokka bei Starbucks, der Kaffeehauskette des Durchschnittsbürgers. Da ist die Tochter eines Geldaristokraten, die sich zum elften Geburtstag wünscht, einmal nicht im Privatjet zu fliegen, sondern "im großen Flugzeug mit anderen Menschen".

Nichts geht übrigens über das neueste Statussymbol, die Wohltätigkeit. Stifter gab es immer, Dynastien wie die Rockefellers, die Carnegies. Aber jetzt ist ein wahrer Wettlauf im Gange. "Da verschenkt einer Millionen, ja Milliarden, und zeigt allen: Hey, es tut mir nicht mal weh. Davon geht ein Reiz aus, der seinesgleichen sucht", sagt Frank.

Bill Gates war der Erste der Richistanis, der tief ins Portemonnaie griff. Nun machen es ihm andere nach, Mega-Mäzene wie Warren Buffet, aber auch weniger Bekannte wie Philip Berber, ein Ire, der in Texas residiert und jeden Sommer wochenlang durch Äthiopien fährt, um zu studieren, wo er helfen kann. "Früher hieß es: 'Wie viel Geld hast du gespendet?'", erklärt Frank den Unterschied. "Heute heißt es: 'Was hat dein Geld bewirkt? Welche Krankheit hat es geheilt? Welche Entdeckung gemacht?'" Rivalisierende Nächstenliebe, sagt er.

... und Verzweiflung

Wer glaubt, Richistan sei nur noch von Philanthropen bevölkert, dem erzählt der Autor schnell eine Geschichte vom alles zerfressenden Neid. Fort Lauderdale, eine Bootsshow, der Multimillionär Don Weston steht auf dem Deck seiner Yacht, einem 30 Meter langen Trumm. "Sie müssen sehr stolz sein", schmeichelt Frank. Weston ist nicht stolz, er ist verzweifelt. Ein paar Meter weiter liegt die "Octopus" vor Anker, die Neuerwerbung des Microsoft-Mitbegründers Paul Allen, 120 Meter lang, mit Basketballfeld und Musikstudio. Von Selbstmitleid ergriffen, stöhnt er: "Was ich hab, ist nur ein Schlauchboot". (Frank Herrmann aus Washington/DER STANDARD, Printausgabe, 6./7.10.2007)