Bild nicht mehr verfügbar.

Franz Fischler

Foto: Reuters
Da haben wir sie wieder: Die nochmalige Aussage, dass ein gemeinsamer Unterricht aller zehn- bis 14-Jährigen für die stärker benachteiligte Bildungsschicht das bessere System wäre. Wer das sagt? Zuletzt ein Bericht der EU-Kommission in dieser Woche, in dem festgestellt wurde, dass bei einem gesplitteten Schulsystem Kinder aus begüterten Familien ihren vorhandenen Startvorteil weiter ausbauen könnten. Es ist das nicht die erste Studie, die in diese Richtung geht. Es wird aber aller Voraussicht nach auch die nächste sein, die wieder keine positive Auswirkung auf die bildungspolitische Debatte in Österreich hat, sondern nur zu einer mantra-artigen Wiederholung der üblichen Positionen führen wird.

Dabei spricht einiges für eine umfassende Änderung in unserem Schulsystem. Allerdings geht es aus meiner Sicht nicht nur um die Frage, ob die Schüler bis zum 14. Lebensjahr gemeinsam unterrichtet werden sollen oder nicht - denn ohne umfassende Bildungsreform wäre das nur Stückwerk.

Was Not tut, ist ein Tabubruch. Gleich vorweg: Natürlich ist die Leistung vieler Lehrer zu würdigen und zu schätzen. Aber selbst als bildungspolitischer Nicht-Experte stellen sich für mich etliche Fragen, die ich derzeit nicht beantwortet sehe.

Zum Beispiel: Irgendetwas muss von vornherein an unserem Schulsystem im Kern falsch sein. Wie sonst kann es passieren, dass vielen Schulanfängern innerhalb kurzer Zeit die Freude am Lernen und Schule-Gehen vergeht, wo doch gerade in diesem Alter die Neugierde am größten ist? Wie kann die Schule ein Ort werden, an dem man wirklich fürs Leben lernt, vor allem das Lernen lernt und noch viel stärker neben Wissensvermittlung soziale und kulturelle Kompetenz mitbekommt?

Warum haben in einem modernen Bildungssystem viele Lehrer immer noch Angst, evaluiert zu werden, und wie können Evaluierungsergebnisse eine positive Auswirkung auf die Lehrenden bekommen? Warum können Lehrer, die nicht mehr genügend Motivation für einen interessanten Unterricht aufbringen, nicht auch vom Direktor gekündigt werden - etwas, das in fast jedem anderen Berufsstand eine letzte Reißleine ist?

Wäre es nicht sinnvoll, dass man für die Abschlussprüfungen Lehrende und Prüfende trennt - um einerseits ein standardisiertes Prüfungsniveau zu bekommen und andererseits auch die Doppelrolle Lehrers als Vertrauensperson versus Lehrer als Prüfer aufzuheben.

Es wäre höchste Zeit, glaubwürdige Antworten auf diese und viele anderen Fragen zu bekommen und nicht schon an der ideologischen Hürde "Gesamtschule ja oder nein" zu scheitern. Es hilft nicht, wenn jede politische Seite gebetsmühlenartig ihre Positionen wiederholt, aber das Gespräch mit dem Regierungspartner nicht sucht.

Aber wie können wir es schaffen, solche Themen, die für den nachhaltigen Erfolg einer Gesellschaft von so unschätzbarem Wert sind, aus einer - in gewisser Hinsicht legitimen - parteipolitischen Debatte herauszulösen?

So etwas darf einfach keine Frage von rot, schwarz, grün, blau oder orange sein. Das darf nicht mehr länger eine Frage der Ideologie sein! Das ist eine Frage, die Expertise verlangt und den Mut, die Erkenntnis der Expertise anzuerkennen und umzusetzen. Wäre das nicht eine tolle Perspektive für die große Koalition? (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6./7.10.2007)